Maja Wirkus

Die Anmut des Betons

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Maja Wirkus’ Konzept der Ausstellung “Praesens || Präsens” aus der Reihe Talents der C/O Berlin Foundation orientiert sich an der Bewegung des aktuell vorgefundenen Raumes. Dem Raum liegt – so statisch er auch ist – eine Bewegung zugrunde. Agiert doch ein Raum oftmals auch als Vorraum für andere, neue und unbekannte Räume und wird damit zum Transitraum, wie es Wirkus selbst bezeichnet. Im Raum ergeben sich jedoch verschlungene und gewundene Pfade der Lesbarkeit, die manchmal spielerisch, zumeist schwieriger zu dechiffrieren sind. Ecken und Eckpfeiler können einen Raum halten und stützen. Größe oder Enge erzeugen eine bestimmte Atmosphäre. Und auch die nicht greifbare sondern nur spürbare Atmosphäre ist Teil des Konzeptes. Dabei unterzieht sich Wirkus permanenten Fragestellungen: Wie kann die Fotografie aus ihrer starren Positionierung herausgelöst werden, sodass Fotografie zu Skulptur wird und theoretische Experimente möglich werden? Natürlich richtet sich Wirkus erst einmal an dem aus, was vorgegeben ist, aber dann beginnt sie den Fokus zu verschieben und einen anderen Ansatzpunkt zu wählen, der sich – je nach Blickwinkel oder Position – auch immer wieder ändern kann. Denn genau das reizt Wirkus in ihrer Auseinandersetzung mit Architektur, Fotografie und Text: In diesem Prozess können gleichzeitig mehrere Ebenen angedeutet sowie Übereinanderlagerungen und Schichtungen sichtbar gemacht werden.

Beton

Beton ist ein wichtiger Baustoff der modernen Architektur und ein faszinierendes Ausgangsmaterial – so auch in Wirkus’ Konzept. Die Zusammensetzung dieses besonderen Baumaterials wird ständig neu entwickelt und verfeinert. So fein kann Beton heute sein, dass es die Spuren eines Tesafilms im Material sichtbar machen kann. Trotz der statischen Anmutung der Betonobjekte gelingt der Künstlerin eine rhythmische Hängung der kleinen Objekte, die ihrer Ausstellung nun einen installativen Charakter geben. Gleichzeitig spiegeln sich die Objekte in ihrer Fotografie wider. Die Größe des Raumes gibt meist jene Parameter vor, die Wirkus am Ende auch nutzt. In vorangegangenen Installationen arbeitete Wirkus mit enormen Dimensionen, ihre Arbeit ist somit kontinuierlich im Fluss und verändert sich ständig.

Messing

Für das gleichnamige Buch “Praesens || Präsens” hat Maja Wirkus 3 Räume konzipiert. Jeder Block ist ein Raum, jedes Intro hat eine Farbe. Wirkus hat für diese Publikation 3 gelbe Farbräume gefunden und bezieht sich hierbei auf einen ihrer ersten Ausgangspunkte – die Arbeit der polnischen Architekten- und Künstlergruppe Praesens, die in ihre Architektur Farbe integrierte und dadurch eine reflektierende Wirkung, je nach Lichteinfall und Tageszeit, der gelben Farbwand im Raum erzielt wurde. Die Farbe Gelb wählt Wirkus jedoch noch aus einem anderen Grund. Es ist die Farbe des Materials Messing, denn Messing wellt sich wie Papier, je dünner es gewalzt wird und die Idee des Blätterns wird sichtbar. Kann nun die Farbe Gelb einen Interpretationsspielraum bieten? Es kommt immer darauf an, wer letztendlich die Farbe im Raum sieht und welche Lichtbedingungen vorherrschen: Unterschiedliche Wahrnehmungen generieren unterschiedliche Beschreibungen, Gelb ist Zitronengelb, Nepalgelb oder auch das Gelb eines Kanarienvogels.

Nuancen

Maja Wirkus zelebriert Nuancen. Sie fotografiert neben zartem Messing zwei Tonnen schwere Betonobjekte. Durch raffinierte Lichtsetzung lässt sie Nuancen von Licht- und Schatten auf, unter und neben den Betonobjekten im Bild entstehen. Durch den Lichteinfall macht sie ein unsichtbares Dahinter, Daneben und Davor sichtbar. Parallel zu diesen schlichten Formen setzt Maja Wirkus verschiedene Collagen, die gleichberechtigt neben den Fotografien stehen. Hier nutzt sie Fragmente einer Architekturfotografie aus den Siebzigerjahren und setzt diese in Bezug zur eigenen Fotografie. Es sind Fotografien, die als Verweise dienen und die sie durch aufwändige Recherche in fast unzugänglichen und verschlossenen Archiven gefunden hatte oder es sind Auszüge und Kopien von Kopien aus konservierten Briefwechseln der Architekten jener Zeit.

Reflektionen

Maja Wirkus’ Reflektionen über Farbe und Raum, über Licht und Schatten, über Zwei- und Dreidimensionalität, über Architektur der Vergangenheit und der Gegenwart stellt auch das Wort “Reflektion” selbst in den Vordergrund. Ihre Arbeit ist zusammenfassend eine Aufarbeitung von Architekturgeschichte. Wirkus verschiebt den Fokus: Nicht die Architektur eines renommierten Namens wird hier betrachtet, sondern die Arbeit eines Kollektivs. Es waren Ideen, die am Anfang standen und selten mit einem einzelnen Namen firmiert wurden, da sie immer durch Austausch und Reibung, durch Brisanz und Energie über Ländergrenzen hinweg weiterentwickelt worden sind und einen höchsten ästhetischen Anspruch innehatten, Ideen, die die Architektur- und Kunstgeschichte der Zwanzigerjahre in Europa revolutionierten. Die Themen der Architekten- und Künstlergruppe Praesens, die auch den Fragestellungen und Lösungsansätzen des Bauhauses ähnelten, sind heute aktueller denn je und genau das macht diesen Ansatzpunkt so interessant. Mit der unbändigen Neugier als Antrieb für nicht aufgearbeitete Archive und Briefwechsel widmet sich Maja Wirkus dieser Aufarbeitung. Dem künstlerischen Konzept geht eine lange Phase Recherchearbeit voraus – und das Interesse an großen Ideen einer anderen Zeit.

So zieht Wirkus die Fäden zusammen und verbindet physische, dreidimensionale Objekte mit zweidimensionalen Bildern, die zu Text in Relation stehen. Die Fotografie wiederum wird als Abdruck, Collage, Fragment oder Matrize genutzt und wandelt sich erst später zum finalen Bild. Text und Bild sind gleichberechtigt und bedingen einander. Das Buch “Praesens || Präsens” mit einem tiefgründigen kuratorischen Text von Jule Schaffer, einem gemeinsamen Interview beider und ihre Ausstellung ergeben zusammen eine spannende Reise durch vielschichtiges, visuelles und faszinierendes Ausgangsmaterial.

 

Nadine Ethner / November 2016

 


© all images by Maja Wirkus // Book: Talents 39 „Praesens || Präsens“, Maja Wirkus/Jule Schaffer, published by C/O Berlin Foundation & Kehrer Verlag Heidelberg Berlin, 2016