Göran Gnaudschun

“Are you happy?”

VTph: Göran, du warst jetzt ein Jahr lang Stipendiat in der Deutschen Akademie in Rom, der Villa Massimo. Du hattest dort viel Zeit, dich mit deinen Projekten auf ganz intensive Art und Weise zu beschäftigen. Woran hast du gearbeitet?

GG: Noch bis Anfang diesen Jahres hatte ich an dem Projekt “Wüstungen” gefeilt, welches ein Gemeinschaftsprojekt mit meiner Frau Anne Heinlein ist. Wenn man allerdings einmal in Rom ist, wollte ich natürlich auch die Zeit nutzen und habe mir parallel sehr viele Ausstellungen angesehen. An anderen Tagen hatte ich nur das antike Rom auf mich wirken lassen, ohne zu fotografieren. Später kam mir dann die Idee, dass ich unbedingt noch eine Arbeit über Rom machen wollte. Ich hatte mich dann schnell für die Vorstädte wie via Prenestina oder Pigneto entschieden. Am Anfang dachte ich, ich kann ähnlich wie in “Wüstungen” unterschiedliche Zeitebenen verbinden, gerade weil die Straße via Prenestina so extrem vielschichtig ist und schnurstracks in den Osten der Stadt und darüber hinaus führt. Alle fünfhundert Meter ändert sich der Baustil: die zehner, die zwanziger und die dreißiger Jahre sind ganz deutlich zu sehen – dahinter jedoch wird eine andere Bevölkerungsstruktur sichtbar. Ich hatte damit begonnen, die Menschen in ihrem “Quartiere” zu fotografieren. Stadtlandschaften und Portraits. Über sechs Monate habe ich ganz fokussiert an der Serie gearbeitet und bin immer noch dabei, in Archiven Bildmaterial zu suchen. Vor allem möchte ich unbedingt noch schreiben!

VTph: Parallel zu diesen Portraits sind Hochstraßen, Tankstellen und verlassene Straßenecken zu sehen. Es gibt außerdem ein ganz bestimmtes Menschenbild, welches sich in deinen Arbeiten wiederholt, meist sind es Menschen am Rande der Gesellschaft, Ausgeschlossene oder Menschen mit alternativen Lebensmodellen.

GG: Es ist ja immer beides. Entweder fotografiere ich Menschen, deren Leben nicht so leicht ist, also Menschen, die etwas Besonderes und etwas Verletzliches haben oder bei denen man es nicht so deutlich sieht. Mich interessiert diese durchlässige Seite im Menschen, dort kommt ja meist etwas Allgemeineres zum Ausdruck.

VTph: Einer deiner Portraitierten trägt auch den Schriftzug “Umbro” auf seinem Pullover. Das lateinische Wort „umbra“ bedeutet Schatten oder Dunkelheit. Und Umbria ist auch die dunkelste Region in Italien, mit Wäldern, Bergen, antiken Höhlen und dunkler Erde…

GG: Welch’ Zufall! Überhaupt wurde ich durch viele wunderschöne Zufälle durch die Serie geführt. Eugenio mit diesen roten Wangen und dem vollen Gesicht könnte wirklich aus einem Gemälde von Caravaggio stammen. Auch der Bacchus kommt in ihm zum Vorschein oder ein Faun. Es sind Archetypen. Mich berühren diese Gesichter, selbst wenn es müde Gesichter sind. Meine Kamera hatte ich für dieses Projekt wirklich immer mit. Spiegelreflex, kein Stativ, nicht zu aufwändig, sondern fast immer mit der Anmutung und Spontanität einer handlichen Kleinbildkamera.

VTph: Du hattest für diese Serie eine starke Überschrift gewählt: Are you happy?

GG: Ja, aber diese Frage stelle ich keinem! Sie schwebt über dem Projekt. Erst jetzt habe ich angefangen ein paar Interviews zu führen, aber die harren noch der Übersetzung. Das Schöne für mich war ja auch, dass ich unglaublich viele verschiedene Erfahrungen machen durfte, einfach indem ich mich treiben ließ. Das Quartiere Pigneto, in dem auch der italienische Filmemacher Pasolini drehte, war zum Beispiel das Zentrum des antifaschistischen Widerstands, die Partisanen waren dort ganz stark vertreten. Ich hatte mit einer Frau gesprochen, die in einem der berüchtigsten Borgate, in einem dieser Vororte, aufgewachsen ist. Ihr Vater hatte sich selbst aus der Armut herausgekämpft. Oftmals gab es noch nicht einmal fließend Wasser. Er besaß später im Laufe seines Lebens sogar eine Tankstelle. Andere der Portraitierten hatten mich an andere Orte geführt, einige lebten und arbeiteten mit Flüchtlingen zusammen. In einem besetzten Haus, welches auch ein Kunstmuseum ist, hatten die Bewohner zusammen eine Rakete gebaut. Ein unglaubliches Metapher: Hier gibt es keinen Ort für uns, also fliegen wir zum Mond.

VTph: War Religion ein Thema? 

GG: Nein, über Religion haben wir nicht gesprochen und darum ging es auch nicht. Und es ist auch das erste Mal, dass ich Menschen fotografiere, die ich nicht verstehe. Bis dahin hatte ich immer geglaubt, ich muss vor dem Fotografieren mit den Menschen reden, eine Art vertrauensbildende Maßnahme. Hier jedoch habe ich auf einmal etwas gespürt, was keiner Worte bedurfte. Und die Menschen waren trotzdem präsent! Sie waren ganz fokussiert und haben mich sehr an sich herangelassen. Beim Fotografieren bildet man plötzlich eine besondere Einheit, eine Schwingung…

VTph: Du bist ja auch ein Mensch, der schnell mit anderen in Resonanz treten kann.

GG: Ja, ich hatte mich wirklich gewundert, dass das dieses Mal so unmittelbar funktionierte. Die meisten Personen haben sofort ja gesagt.

VTph: Die Römer sind für Neues immer offen und empfänglich, ich fand das immer bewundernswert. Obwohl sie in den dreitausend Jahren ihrer römischen Geschichte schon so viel gesehen haben. Sie haben alles absorbiert: Kunst, Kultur, Leben und unterschiedliche Mentalitäten. Und trotzdem haben sie sich ihre Neugierde und ihre Offenheit dem Fremden gegenüber bewahrt.

GG: Und sie wissen auch, wie sie wirken. Ihr ganzer Körper wird zur Kultur. In Deutschland musste ich immer sehr viel experimentieren. Die Italiener stellen sich einfach hin – und fertig. Sie haben ein anderes Körpergefühl und ein anderes Standing. Die Italiener wissen eher, wer sie sind und müssen nicht nach anderen Entwürfen suchen. Ich habe viel gelesen und mir viel angeschaut. Mir sind in der Zeit Menschen begegnet, die einfach so von sich erzählen. Und die Menschen vor Ort schenken mir ein Bild von sich, all das berührt mich sehr. Dafür bin ich ihnen unheimlich dankbar. Alessia, hier auf diesem Bild, hatte so eine bestimmte Härte, die ich auch vom Alexanderplatz kenne. Sehr rau. Sehr rough. Sehr tough. Dabei war sie mir, dem Fotografen, sehr zugewandt. Und auch hier stellte sich die Frage “Are you happy?” gar nicht explizit. Sondern es ging eher um die Vorstellung. Denn die Frage an sich, ist sehr unverschämt. Wenn derjenige, der am Ende die Bilder sieht, die Frage für sich beantworten kann, ist das viel spannender, als die Menschen direkt zu fragen, ob sie glücklich sind.

 

Interview: Nadine Ethner / Dezember 2017


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