Eric Meier

Eric Meier (*1989) arbeitet interdisziplinär mit Fotografie, Skulptur und Video. In seinen konzeptuellen Installationen und Fotografien verdichtet er seine künstlerische Auseinandersetzung und konzentriert sich auf Transformationsprozesse unserer Zeit insbesondere in Ostdeutschland. Er studierte an der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin, sowie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig bei Prof. Heidi Specker und als Gaststudent an der UdK Berlin bei Prof. Manfred Pernice. Verschiedene Ansätze und Herangehensweisen bringt Eric Meier in seinem Œuvre zusammen. Im Jahr 2021 publizierte Eric Meier „FF“ – sein erstes Künstlerbuch, welches vom Verlag sèche editions herausgegeben wurde. Seine Arbeiten werden deutschlandweit und international ausgestellt. Aktuell ist die Arbeit “THOR” in der Ausstellung „Identität nicht nachgewiesen“ in der Bundeskunsthalle Bonn zu sehen – eine Ausstellung, die die Neuerwerbungen der Sammlung für zeitgenössische Kunst des Bundes der letzten Jahre vorstellt. 

VTph magazine: Eric, du hattest im letzten Jahr dein erstes Künstlerbuch zusammen mit dem Verlag sèche editions herausgebracht. Erzähl‘ mir mehr von den Anfängen, von der Idee zum Buch und von der Zusammenarbeit mit den Herausgebern. Hattest du sie angefragt oder sie dich?

Eric Meier: Ich würde sagen, das ist gleichzeitig passiert. Die Idee zum Künstlerbuch ist tatsächlich Corona geschuldet. Im ersten Lockdown, damals im März/April 2020, hatte ich auf einmal wahnsinnig viel Zeit und auch die Muße dazu.  Aber die Idee, das Archiv mal zu sortieren und zu schauen, was da ist und was es für fotografische Arbeiten gibt, diese dann zusammenzubringen und in ein Buch münden zu lassen, war schon vorher da. Wenngleich das Buch erst einmal gar nicht mein Medium ist. Wenn ich fotografisch arbeite oder Ausstellungen mache, sind die Fotografien oft sehr großformatig und auch gar nicht  seriell gedacht, sondern ich denke immer in Einzelbildern. Das spricht ja am Anfang erst einmal gegen ein Buch. Auf der anderen Seite hatte ich im Lockdown angefangen, meine Fotografien zu sortieren und es kam dann plötzlich so viel Material zum Vorschein, sodass ich begann, einfach mal etwas zusammenzustellen.

Nur für dich?

Nur für mich, ja genau. Dieser Akt ist einfach aus der Zeit heraus entstanden. Ich wollte die Arbeiten sortieren und mal schauen, in wie vielen Jahren sich da überhaupt etwas angesammelt hatte. Und dann habe ich relativ schnell gemerkt, dass ich eigentlich seit zehn Jahren das fotografische Material sammle.

Bist du in den letzten zehn Jahren von 2011 bis 2021 immer wieder an bestimmte Orte zurückgekehrt? 

Immer wenn ich in Frankfurt bin, schaue ich mir Orte an, die ich noch von früher kannte und suche dort bestimmte Situationen. Aber es ist natürlich kein Frankfurtbuch. Es geht nicht um einen Ort, sondern es sind viele Orte – Orte, die sich ähneln.

In Frankfurt/Oder meiner Heimatstadt hatte jedoch alles begonnen. Das Buch heißt zwar „FF“, was auf einen Verweis auf Frankfurt/Oder hindeuten könnte – denn es ist das KFZ-Kennzeichen der Autos aus Frankfurt an der Oder – aber „ff“ kennt man auch aus der Mathematik oder aus einem Diktat: FF als Folgefehler. Auch die Gedanken kennen etwas aus dem „Effeff“, als Redewendung sagt man das ja oftmals. Das hatte daher etwas sehr Vertrautes für mich. Es gibt aber auch Arbeiten aus Halle/Saale, aus Leipzig, aus Rostock und es gibt auch Bilder, die in Berlin entstanden sind. Aber es geht gar nicht um die eine Ortsbeschreibung, sondern es geht in meinen fotografischen Arbeiten um eine Situationsbeschreibung. 

Es ist die gesellschaftliche Beschreibung eines ostdeutschen Raumes. Die Fotografien sollen auch nicht dokumentarisch sein, sondern es geht mir um das Konzept. Die Bilder sind sehr ausschnitthaft und beschreiben keinen direkten Ort. Es geht um Zerwürfnisse in Ostdeutschland, um eine bestimmte Patiniertheit an den Fassaden und an der ostdeutschen Architektur, und um all die Spuren, die wir hinterlassen haben – und natürlich geht es auch um Transformation.

„Das Wort ‘scheitern’ hat sehr viele Aspekte, mich interessiert hier das existenzielles Scheitern und das gesellschaftliche Scheitern, oder der gescheiterte Lebensweg. Es bedeutet ja auch nicht, dass der Mensch sich nicht erneuern kann oder sich nicht transformieren kann. Es kann auch gut ausgehen.“–Eric Meier

Transformation hat viele Aspekte…

Transformation ist ein großes Wort und sie interessiert mich. Transformation bedeutet auch erst einmal, dass etwas die Form verändert. Das finde ich ziemlich interessant – sowohl in der Fotografie als auch in den Details von Skulpturen und Installationen, die ich mit den Fotografien in den Ausstellungen kombiniere.

Und an dem Punkt hinterfrage ich Architektur oder Situationen und denke: Ist das belebt oder noch in Funktion? Und was sagt das dann über unsere Gesellschaft aus? Das sind Fragen, die ich im Buch erörtere und die ich mir immer wieder im Prozess beim Sammeln der Bilder stelle.

Eine wirkliche Chronologie in deinem Buch sehen wir nicht, die Chronologie ist eher eine Variationsbreite, oder?

Es gibt keine Chronologie in dem Sinne, aber man kann die Verbindungen und Zeitachsen von außen nachvollziehen. Auch – und das war dann noch ein zweiter Ansatz – weil ich neben der inhaltlichen Ebene ein Objekt schaffen wollte, welches wie ein Katalog funktioniert und eine Art Werkverzeichnis ist. Im hinteren Teil des Buches, im Index, kann jeder Betrachter und Leser Materialien und Jahreszahlen nachvollziehen.

Den Index habe ich mir auch angeschaut. Dabei ist mir aufgefallen, dass du die Fotografien zum Teil auch in Farbe aufgenommen hattest. Gibt es immer zwei Versionen?

Nein. Die Skulpturen und die installativen Arbeiten, die ja nur als Detail auftauchen, bekommen plötzlich im Index mit der Farbe einen Realitätsbezug. Die Skulpturen sind ja in der Realität auch farbig. Obwohl Beton immer auch grau oder schwarzweiß ist – Glas jedoch ist transparenter und man kann hindurchschauen, der Betrachter sieht die Farben des Raumes. Deswegen zeige ich im Index auch die farbigen Abbildungen en miniature. Die Fotografien sind aber ausschließlich schwarzweiß und so werden sie auch in meinen Ausstellungen gezeigt.

Und ist das Original Schwarzweiß oder ist das Original in Farbe?

Zweiteres. Ich habe auch mit verschiedenen Kameras gearbeitet, aber es gibt nur eine analoge Arbeit. Es ist das erste Bild im Buch, welches ich noch mit einer Großformatkamera fotografiert habe und welches tatsächlich als erstes Bild noch vor dem Inhalt des Buches auftaucht. Ich zeige hier eine Übersicht, aufgenommen irgendwo in einem Randbezirk von Frankfurt/Oder. Man kann nicht genau erkennen, wo. Dieses Bild stellt eine erste Verortung dar. Das gleiche Bild in der gleichen Perspektive gibt es auch noch einmal ganz zum Schluß, somit wird der Inhalt in Klammern gesetzt, bevor das Buch geschlossen wird.

Deine Fotografien haben eine bestimmte Direktheit. Ich bekomme sofort Zugang zu dem Bild. Es gibt wenige Ebenen. Das Buch zeigt hingegen mehrere Layer. Kommt das daher, dass du oft in Einzelbildern denkst? 

Wenn ich mich in so eine Situation hineinbegebe, dann sehe ich diese Bilder vor mir, die Komposition, das Material, den Ausschnitt, aber am Ende wähle ich natürlich auch aus. Beim Kuratieren entsteht ein Kosmos. Es ist dieser Ostbezug, diese typische sozialistische Moderne – die Architektur aus den 70er oder 80er Jahren – diese Gegenden, diese Orte und Nicht-Orte, dieser urbane Raum, der in der Veränderung ist und der ruinös erscheint. All das erschien mir wichtig.

Parallel gibt es dann diese Brüche im Buch, du zeigst Gravuren – Zeichnung und Grafik stehen plötzlich neben der Fotografie. 

Ich zeige meine Wandgravuren im Buch. Aber die Grafik und das Layout des Buches sind natürlich eine Gemeinschaftsleistung mit Schweizer Grafikern, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Aber um den Bruch zu schaffen, oder um einen Widerspruch mit hineinzubringen, zeigen wir auch die Skulpturen und Installationen. 

Das Buch ist gleichzeitig am Schnitt offen, sodass man die Pappe sieht, sowie die Architektur des Buches. So bekommt das Buch selbst einen Bezugspunk zu den Bildern und zum Inhalt.

Wollen wir zu deinen Skulpturen übergehen? Hattest du diese Glasarbeiten selbst hergestellt? 

Ja, diese Glasskulpturen wurden von mir deformiert. Das ist eine Technik, die in Glasfusionsöfen möglich ist. Man kann den Ofen, während er sich aufheizt, aufmachen und somit während des Prozesses die Glaskörper deformieren.

Ich mache das jetzt auch schon ein paar Jahre und bekomme durch das Zusammenstellen der Flaschen ein Gefühl für die richtige Zeit und die perfekte Temperatur. Man muss den Ofen vorher programmieren und definiert so die Brennkurve – ähnlich wie man das auch in der Keramik macht, aber eben mit anderen Werten. Ich habe so die Möglichkeit, direkt in den Prozess einzugreifen. Teilweise habe ich die Glaskörper über andere Formen darüber schmelzen lassen. Dabei ergeben sich diese Zusammenstellungen, die durch den Zufall plötzlich eine eigene Ästhetik bekommen. Den Zufall muss man dann einfach in Kauf nehmen, da es auch um die Beschaffenheit des Glases geht; wie dick es ist oder wie rein. Manches bleibt gläserner und manches bekommt plötzlich eine weiße Patina. Diese Arbeiten beziehen sich vor allem auf das Umfeld, in dem ich mich fotografisch bewege. Manche Glasskulpturen aus Recyclingglas sind wabernde Schnapsflaschen, Billigfusel. Sie sind miteineinander verschmolzen. Hier geht es mir ganz klar um existenzielles Scheitern.

Du meinst im Hinblick auf die letzten vergangenen 30 Jahre?

Ja, richtig. Es gibt eben Menschen, die keinen neuen Lebensweg eingeschlagen haben, die dort geblieben sind. Es gibt die These: Die 90er Jahre und die Probleme, die damals entstanden sind, setzen sich fort und werden sichtbar im Erstarken des Rechtspopulismus.

Da muss ich ganz kurz einhaken: Ich war damals selbst 13 oder 14 Jahre alt, als die Wende kam – wir haben erfahren und erlebt, dass plötzlich die Jobs unserer Eltern wegfielen oder durch die Treuhand die ostdeutsche Industrie zum Teil mit dem symbolischen Wert von 1 DM aufgekauft wurde. Ich persönlich wollte jedoch nach der Wende erst einmal weg aus Deutschland. Ich wollte in den Süden, nach Italien, weil Italien für mich immer der Inbegriff der schönen Künste war –  der Italienischen Renaissance. Und als ich 2007 zurückgekommen bin, habe ich plötzlich gemerkt, dass diese beiden Teile Deutschlands gar nicht richtig zusammengewachsen waren. Und dass Trennung, wenn sie überwunden werden soll, einen sehr langen Heilungsprozess braucht.

Ich bin ja Wendekind, bin 1989 geboren, und ich kann es mir manchmal nur schwer vorstellen, dass man aus ökonomischen Gründen fast gezwungen wurde, die Heimat zu verlassen, um woanders sein Glück zu versuchen. Und wenn man dann in anderen Städten ohne Freund und Familie nicht klarkam, mussten und wollten manche dann eben wieder zurückgehen. Das ist ein Thema, was mich immer noch stark beschäftigt.

Das findet sich auch in meinem fotografischen Ansatz wieder. Ich erforsche diese Räume und erforsche gleichzeitig ein Gesellschaftsbild. Manchmal schleicht sich ein melancholischer Blick mit ein und manchmal ist es auch ein sehr rauer Blick.

Sprichst du manchmal mit alten Bekannten von dort, sprecht ihr von damals? 

Das kommt natürlich vor. Wenn ich aber fotografiere, begebe ich mich zu Unzeiten an diese Orte, um diese menschenleer zu erfahren.

Das sieht man auch in deinen Arbeiten: Es ist kein Mensch zu sehen. Man sieht nur die Spuren, die der Mensch hinterlassen hat.

Ich fotografiere diese Spuren sehr oft. Und in meinen Glasarbeiten wird die Flasche wieder zur Figur. Die Flaschen wirken plötzlich anthropomorph und nehmen eine menschliche Gestalt an.

Das glatte Bild – in dem auch die Materialien an sich sehr glatt und oberflächlich wirken, wie Beton, Metall oder Glas – möchte ich somit dreidimensional erfahrbar machen und in einen Raum bringen. Ich habe im Entstehungsprozess auch eher an Figuren gedacht, die man als in sich zusammensackende Personen erkennen könnte.

Diese Bierkrüge und Flaschen bekommen in der Installation plötzlich einen Körper und einen Rhythmus…

Der Rhythmus ist der Installation geschuldet. 2020 stellte ich hundert von mir angeordnete Bierkrüge in dem Ausstellungsraum „Hošek Contemporary“ aus. Das ist ein ehemaliger Kohlefrachter, ein Binnenschiff, mitten in Berlin. Im Inneren, im Rumpf gibt es diesen besonderen Raum. Das Schiff heißt „Heimatland“ und die Ausstellung hieß „Goodbye Deutschland“. Es hatte einfach alles gepasst. Und diese Bierkrüge, die wie besoffene und irritierte Figuren im dunklen Schiffsrumpf herumwankten, sind auch ein Metapher. Ein Metapher des Scheiterns.

Du benutzt das Wort „scheitern“ sehr oft. Ich arbeite ja ab und zu auch in verschiedenen Unternehmen, in Startups und in Konzernen. Dort hatte ich den Eindruck bekommen, dass dem Wort „scheitern“ erst in den letzten Jahren und auch nur durch die Startup-Kultur der negative Anstrich genommen wurde. Denn ganz real können ja auch Ideen scheitern – es muss ja nicht immer gleich der ganze Mensch sein, der scheitert. Beziehungen können scheitern oder eine Zusammenarbeit kann scheitern. Ganze Konzerne können scheitern. Der Mensch kann auch an seinen eigenen Ansprüchen scheitern. Und der Künstler muss sich täglich mit seinem Scheiterprozess auseinandersetzen. Beim Künstler, beim Kreativen jedoch ist das Scheitern unmittelbar mit seinem Schaffensprozess verbunden. Ohne Scheitern keine Neuschöpfung und kein Neuanfang. Künstler gehen ganz anders mit dem Scheitern um und aus dieser Tatsache heraus kann man dieses Scheitern auch nutzen, um etwas Neues entstehen zu lassen, und dann schließt man damit den Bogen zu den Transformationsprozessen unserer Zeit.

Das stimmt. Das Wort „scheitern“ hat sehr viele Aspekte, mich interessiert hier das existenzielles Scheitern und das gesellschaftliche Scheitern, oder der gescheiterte Lebensweg. Es bedeutet ja auch nicht, dass der Mensch sich nicht erneuern kann oder sich nicht transformieren kann. Es kann auch gut ausgehen. Aber mein Ansatz ist erst einmal der Gedanken eines gesellschaftlichen Scheiterns, oder eines individuellen Scheiterns. Der dystopische Moment als Chance.

Der Mensch in der einen Gesellschaft wäre vielleicht in einer anderen Gesellschaft nicht gescheitert. Und diese Räume, in denen ich mich bewege, die zeigen oft sozialen Wohnungsbau aus einer anderen Zeit. In dieser Wohnform gab es ein Konzept der Hierarchielosigkeit. Der Professor wohnt neben dem Arbeiter, der Doktor neben dem Industriearbeiter. Dieser Raum, in dem ich mich fotografisch bewege, zeigt vor allem eine gescheiterte Utopie. 

 

Interview: Nadine Ethner, Juli 2022


© Eric Meier, from „FF“ / Portrait: Nadine Ethner /  Eric Meier „FF“,  sèche editions Berlin, Oona Eberle & Nino V. Valpiani / Eric Meier is represented by the gallery MOUNTAINS Berlin