#SHORTCUT Alexandra Wolframm

Alexandra Wolframm konzentriert sich in ihrer Arbeit auf die existenzielle Beziehung zwischen Mensch und Natur und die Interaktion zwischen Vision und Imagination. Ihr Fokus liegt hierbei auf dem Aspekt der Zeit in Bezug auf die menschliche Existenz und die Indifferenz der Natur gegenüber letzterer. Die Landschaft als Erscheinung und Metapher der Natur, selbst in ihrer scheinbar gezähmten Form der westlichen Welt, ist wie ein Gegenstück oder eine Art Spiegel: ein Teil von unserem menschlichen Dasein – und dennoch sind wir ihr entfremdet. 

Alexandra Wolframm wurde 1971 in Braunschweig geboren. Sie studierte an der Accademia di Belle Arti di Roma, in Rom, Italien. Außerdem studierte sie Rechtswissenschaften an der Universität in Hamburg. Sie ist Co-Gründerin von „Peninsula e.V“, einem internationalem Kunstverein, der in regem Austausch mit der deutsch-italienischen Künstlerszene steht und aktiv vernetzt. Zahlreiche Ausstellung im In- und Ausland begleiten ihre Arbeit. Parallel ist sie selbst kuratorisch tätig. Alexandra Wolframm lebt und arbeitet seit 2011 in Berlin.

VTph editions: Alexandra, in deiner künstlerischen Auseinandersetzung mit Natur und Landschaft untersuchst du das Spannungsfeld von Mensch und Natur. Welches Medium bevorzugst du bei der Umsetzung deiner Projekte? 

Alexandra Wolframm: Ich würde mich als multidisziplinäre Künstlerin bezeichnen. Je nach Thema und Stimmung arbeite ich mit unterschiedlichen Medien, vor allem Fotografie, Malerei, Zeichnung, Video und Objekten. Ein bevorzugtes Medium im eigentlichen Sinn habe ich nicht, allerdings ist die Fotografie schon sehr bedeutsam für mich, ich nutze sie für eigenständige Arbeiten, aber auch oft als Ideensammlung für meine malerischen und zeichnerischen Arbeiten. Sie ist also eine Art Grundrauschen, ständig präsent. An der Fotografie schätze ich die Direktheit, Glätte und Klarheit, sie ist für mich ein Medium, das etwas rationaler ist oder wirkt, im Gegensatz zur Malerei oder der Zeichnung. Damit meine ich nicht, dass die Fotografie verstandesbetont im Gegensatz zur „emotionalen“, weil gestischen Malerei und Zeichnung ist, sondern ich beziehe mich auf die visuelle Wirkung, die sie auf mich und auf den Betrachter ausübt. Es sind also unterschiedliche Aspekte und Wirkungen, die man mit den unterschiedlichen Medien hervorheben und erzielen kann. Besonders interessiert mich dabei der Kontrast zwischen dem Bildsujet, das durchaus geheimnisvoll und stimmungsgeladen sein kann, und eben dieser kühlen Glätte der Bildoberfläche. Vielleicht ist es auch so, dass ich bei Arbeiten, die einen „konzeptuelleren“ Hintergrund haben, eher Fotografie einsetze als in der Malerei, wo es mir mehr auf die Emotion ankommt, die ich mit ihr erzeugen kann. In beiden Fällen, und eigentlich in allen Arbeiten ist es mir aber wichtig, dass beides, Idee und Bildwirkung, sich die Waage halten. 

VTph editions: Du hast an der Accademia di Belle Arti in Rom studiert, und auch lange in Rom gelebt. Welchen Unterschied hast du wahrgenommen, als du wieder nach Deutschland zurückgekehrt bist im Hinblick auf die verschiedenen Kunstszenen in Deutschland und auch in Berlin, wo du jetzt lebst?

Die Berliner Kunstszene ist vor allem deutlich größer als die römische und bietet – zumindest theoretisch – mehr Möglichkeiten, auch was die Förderung durch Kunst und Kultureinrichtungen durch den Staat betrifft. Das hat Vor- und Nachteile. Zum Beispiel ist es in Rom vielleicht ein bisschen leichter, ein Netzwerk zu knüpfen, auch wegen der Offenheit der Menschen dort. Hier ist man ja eher erst einmal zurückhaltend, auch wenn das natürlich durch die Internationalität in Berlin etwas relativiert wird. Eine kleine Szene wie die in Rom bietet auch nicht so viel Möglichkeiten, gerade was Ausstellungsmöglichkeiten betrifft, auch wenn sich in den letzten Jahren einiges getan hat. Andererseits scheint es mir, als gebe es hier wie dort gewisse Kreise, in die man hineingehört oder eben nicht – und in beiden Szenen dauert es meiner Erfahrung nach ziemlich lange, bis man irgendwo „ankommt“.

Zudem scheint es mir, als würden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt, auch in ästhetischer Hinsicht. Auffallend finde ich, dass „klassische“ Medien wie Malerei und Zeichnung gerade bei den interessanteren Kunsträumen und Galerien in Rom nicht so gefragt sind wie zum Beispiel neue Medien, insbesondere Video – vielleicht aus einem Bedürfnis heraus, sich von der überwältigenden Präsenz antiker und historischer Kunst abzusetzen. In Mailand sieht das schon wieder anders aus. Insgesamt würde ich sagen, dass vor allem in Berlin doch eine größere Offenheit und Vielfalt herrscht. 

VTph editions: Die Serie „Acque Nere“ beschäftigt sich mit der Umweltverschmutzung in Italien. Welche Aspekte wolltest du in den Fokus nehmen und wie siehst du die Veränderung der Umwelt global, auch als Künstlerin?

In meiner Arbeit nehme ich mir öfter „politische“ bzw. gesellschaftliche Themen vor, die mit unserem Umgang mit der Umwelt zu tun haben, aber ich versuche, es auf eine poetische Weise zu tun. Ich möchte, dass man nicht gleich auf den ersten Blick mit einer politischen Botschaft konfrontiert ist, sondern vielleicht erst auf den zweiten. Es sind also Arbeiten, die mehrere Ebenen in sich tragen und die den Betrachter – hoffentlich – dazu einladen, zweimal hinzuschauen. Dabei setze ich die Ästhetik eines Bildes, einer Landschaft, sozusagen als Köder ein. Man soll und darf sich angezogen fühlen und man soll und darf ein schönes Bild genießen. Über diese Betrachtung erschließt sich dann vielleicht dem aufmerksamen Betrachter eine weitere Ebene, eben die kritische, wenn man so will. Grundsätzlich ist mir nicht so sehr an tagesaktuellen Themen gelegen, sondern ich bette die „politischen“ Themen (wie in „Acque Nere“ oder in meiner Serie „Cloud Project“)  ein in ein übergeordnetes Nachdenken über unser Dasein auf dieser Erde, unsere Endlichkeit, das Vergehen der Zeit. Also letztlich ein Nachdenken über das menschliche Streben, der Natur, der wir ja angehören, etwas abzuringen, was uns aus dem Ausgeliefertsein von Werden und Vergehen zumindest zeitweise herauslöst. Was natürlich letztendlich ein ziemlich vergeblicher Versuch ist, wenn überhaupt nur zeitweise von Erfolg gekrönt oder nur unter großer Anstrengung, wie uns nicht zuletzt die Corona-Pandemie gelehrt hat.

Unser Umgang mit der Natur stimmt mich natürlich sehr besorgt, und auch die Ausblicke in die Zukunft. In Europa kommen wir endlich sehr langsam nicht nur zu der Erkenntnis, dass wir schon mitten in einer bedenklichen Entwicklung sind, sondern auch dahin, etwas dagegen zu unternehmen (ob ausreichend, bleibt abzuwarten). Wir sind aber geographisch und zunehmen auch wirtschaftlich gesehen nur ein ziemlich kleiner Fleck in der Weltlandschaft, und die aufstrebenden Regionen anderer Kontinente, wie zum Beispiel China oder Indien stehen gerade vor einer rasanten Entwicklung bzw. sind bereits mitten darin. Dazu brauchen sie Energie, und wie diese erzeugt wird, wird unser Weltklima erheblich beeinflussen. In einer von mir co-kuratierten Ausstellung in der Galerie Parterre in Berlin (März – Juni 2020) haben wir das unter anderem thematisiert. Aber wer sind wir im Westen der Welt, dass wir uns zu Moralaposteln aufschwingen, wo wir in den zurückliegenden Jahrzehnten unseren Wohlstand auch auf dem Raubbau an Umwelt und Natur aufgebaut haben? Können wir wirklich guten Gewissens anderen Vorgaben machen, wie sie sich nun verhalten sollten? Meine Hoffnung ist, dass es vielmehr gelingt, Einsicht zu bewirken, dass wirtschaftliche Entwicklung Hand in Hand mit einem schonenden Umgang mit der Natur gehen muss, schon im eigenen Interesse der Menschen. Wenn Künstler mit ihrer Arbeit auf ihre Weise und in ihrem Wirkungskreis dazu beitragen können, auf solche Prozesse aufmerksam zu machen, würde es mich freuen. 

VTph editions: Was glaubst du können Kunst und Künstler bewegen, um gerade in diesen herausfordernden Zeiten auf gesellschaftliche Ungleichgewichte aufmerksam zu machen?

Ich glaube, Kunst sollte, selbst wenn sie politisch ist oder sich gesellschaftliche oder politische Themen zueigen macht, vor allem immer das visuelle und ästhetische Erlebnis in den Vordergrund stellen. Es gibt sehr gute Instrumente, um auf gesellschaftliche Ungleichgewichte zu reagieren, sei es mit Dokumentation, Pressearbeit, ehrenamtlichen und politischen Engagement. Da muss die Kunst aus meiner Sicht gar nicht erst versuchen zu konkurrieren, schon deshalb, weil sie klassischerweise keine Massenmedium ist und gar nicht so viele Menschen und nicht alle Gesellschaftsschichten erreicht. Dennoch finde ich es wichtig, dass Kunst auch auf gesellschaftliche Prozesse Bezug nimmt, oder sich mit anderen Dingen des Daseins beschäftigt (die reine L´Art pour l´art finde ich nicht so spannend). Das sollte sich aber mit der ihr eigenen Stärke als visuelles ästhetisches Medium tun. Idealerweise bietet sie einen Anreiz, spricht eine emotionale Ebene an, verlockt sozusagen, sich einem Thema, einem Gedanken zu nähern. Sie kann scheinbare Selbstverständlichkeiten infrage stellen, Sehgewohnheiten auf den Kopf stellen und dadurch zum Nachdenken anregen. Aus meiner Sicht müssen es gar nicht nur „große“ Themen sein, sondern auch kleine, aber tiefgründige Betrachtungen können sehr bereichernd sein.

Die Stärke der Kunst liegt aus meiner Sicht darin, dass sie mittels der visuellen Wirkung (nicht umsonst heißt es ja auch „bildende“ oder „visuelle“ Kunst) eine direkte, emotionale Wirkung erzielen kann. Auf diese Weise kann sie Botschaften transportieren, auch solche, die mit Worten schwer vermittelbar sind. 

//

VTph editions: Alexandra, in your artistic exploration of nature and landscape, you examine the interplay between humans and nature. Which medium do you prefer when realizing your projects?

Alexandra Wolframm: I would consider myself as a multidisciplinary artist. Depending on the subject and my mood, I work with different media, mainly photography, painting, drawing, video and objects. I don’t have a preferred medium in the actual sense, but photography is very important to me, I use it for independent works, but also often as a source of ideas for my paintings and drawings. So it is a kind of background noise, constantly present. What I appreciate about photography is its directness, smoothness and clarity; for me it is a medium that appears more rational, in contrast to painting or drawing. By this I do not mean that photography is rational in contrast to painting and drawing, which are „emotional“ because they are gestural, but I am referring to the visual effect it has on me and on the viewer. So these are different aspects and effects that can be emphasized and achieved with the different media. I am particularly interested in the contrast between the subject of the photographic image, which can be quite mysterious and atmospheric, and precisely this cool smoothness of its surface. Perhaps it is also the case that I tend to use photography in works that have a more „conceptual“ background than in painting, where I am more concerned with the emotion I can create with it. In both cases, and actually in all works, however, it is important to me that both, idea and visual effect, are balanced.

VTph editions: You studied at the Accademia di Belle Arti in Rome, and also lived in Rome for a long time. What difference did you perceive when you returned to Germany in terms of the different art scenes in Germany and in Berlin, where you live now?

The Berlin art scene is, first of all, much bigger than the Roman one and offers – at least theoretically – more opportunities, also in terms of funding through art and cultural institutions by the state. There are advantages and disadvantages to that. For example, it’s perhaps a bit easier to establish a network in Rome, also because of the openness of the people there. Here, people tend to be rather reserved at first, even if that is of course somewhat relativized by the international scene in Berlin. A small community like the one in Rome doesn’t offer so many opportunities, especially in terms of exhibition possibilities, even though a lot has happened in recent years. On the other hand, it seems to me that there are certain circles here and there in which you belong or you don’t – and in both scenes, in my experience, it takes quite a long time until you „arrive“ somewhere.

Moreover, it seems to me that different priorities are being set, also in aesthetic terms. Interestingly, „classical“ media such as painting and drawing are not as much in demand among the more important art spaces and galleries in Rome as, for example, new media, especially video – perhaps out of a need to distance oneself from the overwhelming presence of antique and historical art. In Milan, things look different again. Overall, I would say that especially in Berlin there is a greater openness and diversity.

VTph editions: The series „Acque Nere“ deals with environmental pollution in Italy. Which aspects did you want to focus on and how do you see the change of the environment globally, also as an artist?

In my work I often take on „political“ or social issues related to our treatment of the environment, but I try to do it in a poetic way. I don’t want you to be confronted with a political message right away, but maybe only at second glance. So these are works that have multiple layers in them and invite the viewer – hopefully – to look twice. In doing so, I use the aesthetics of a picture, a landscape, as bait, so to speak. One should and may feel attracted and one should and may enjoy a beautiful picture. Through this contemplation, perhaps another level opens up to the attentive viewer, the critical level, if you will. Basically, I am not so much interested in current topics, but I embed the „political“ themes (as in „Acque Nere“ or in my series „Cloud Project“) in a broader reflection on our existence on this earth, our finiteness, the passing of time. So ultimately a reflection on the human striving to wrest something from nature, to which we belong, which at least temporarily releases us from being at the mercy of becoming and passing away. Which is, of course, ultimately a rather futile attempt, if at all only temporarily crowned with success or only with great effort, as we have learned not least from the Corona pandemic.

Of course, I am very concerned about our treatment of nature, and also about the outlook for the future. In Europe, we are finally coming very slowly not only to realize that we are already in the midst of a worrying development, but also to do something about it (whether sufficiently remains to be seen). However, we are geographically and increasingly also economically only a rather small spot in the global landscape, and the emerging regions of other continents, such as China or India, are just about to develop rapidly or are already in the middle of it. To do this, they need energy, and how this is generated will have a significant impact on our global climate. In an exhibition I co-curated at Galerie Parterre in Berlin (March – June 2020), we addressed this, among other things. But who are we in the West of the world to raise ourselves up to moral apostles, when in the past decades we have based our prosperity on the overexploitation of the environment and nature? Can we really, with a clear conscience, tell others how they should behave? My hope is that we will succeed in creating an understanding that economic development must go hand in hand with a careful treatment of nature, if only in people’s own interest. If artists can contribute with their work in their own way and within their sphere of influence to drawing attention to such processes, I would be pleased.

VTph editions:  What do you think art and artists can do to draw attention to social imbalances, especially in these challenging times?

I think art, even if it is political or takes on social or political issues, should always focus on the visual and aesthetic experience. There are very good instruments for reacting to social imbalances, be it with documentation, press work, voluntary and political commitment. In my view, art doesn’t even have to try to compete with that, if only because it’s not classically a mass medium and doesn’t reach that many people or all social classes. Nevertheless, I find it important that art also refers to social processes, or deals with other things of existence (I do not find the plain L’Art pour l’art so exciting). But it should do so with its inherent strength as a visual aesthetic medium. Ideally, it offers a stimulus, appeals to an emotional level, entices one to approach a subject, a thought, so to speak. It can question seemingly self-evident things, turn visual habits upside down, and thus stimulate reflection. From my point of view, it doesn’t have to be only „big“ topics, but also small but profound reflections can be very enriching. 

In my view, the strength of art lies in the fact that it can achieve a direct, emotional effect by means of the visual impact (not for nothing is it called “ figurative“ or „visual“ art). In this way, it can transport messages, even those that are difficult to convey with words. 

VTph editions / Alexandra Wolframm „Acque nere“ & „The Vanishing Point“  www.vtph-editions.com