Anne Heinlein "Geheimes Land" / Cover

Anne Heinlein „Geheimes Land“ / Cover

© Anne Heinlein, Einschussloch

© Anne Heinlein, Einschussloch

© Anne Heinlein, Mütze Wünsdorf

© Anne Heinlein, Mütze Wünsdorf

© Anne Heinlein, Wünsdorf Wandbild

© Anne Heinlein, Wünsdorf Wandbild

Anne Heinlein

Geheimes Land

Verlag: Fotohof Salzburg

Beiträge: Julia Schoch, Peter Weiss

Gestaltung: Uta Oettel

Herausgeber: Rainer Iglar, Michael Mauracher

Format: 25,5 x 19,3 cm, 128 Seiten

2022, Softcover

30 Farbabbildungen

42 S/W-Abbildungen

Auflage: 1000

Sprache: Deutsch, Englisch

Deutscher Fotobuchpreis
SILBERMEDAILLE 23|24
Konzeptionell-Künstlerisch

www.fotohof.at

Descriptions

GEHEIMES LAND

Rund zwölf Prozent der Fläche der ehemaligen DDR waren Sperrgebiete.

Zäune, Mauern und Schilder, die den Zugang in Gebiete verboten, grenzten große und kleinere Areale vom Rest des Landes ab. Flächen, Wälder und Wiesen waren gesperrt. Die abgeriegelten Gebiete wirkten, mit eigenen Regeln und Gesetzen, wie unabhängig. Nur einige wenige befugte Menschen durften in das abgeriegelte Land hinein. Die Geschehnisse innerhalb, waren außerhalb nur zu vermuten. Einiges sickerte nach außen, aber vieles blieb verborgen, ungewiss und geheim.

Die abgeriegelten Landesteile waren der Nationalen Volksarmee (NVA), den Grenztruppen der DDR (GT), den Sowjetischen Streitkräften Deutschland (GSSD), dem Ministerium des Innern und der Staatssicherheit (MfS) zugeteilt. Die militärischen Sperrgebiete der NVA und der GSSD nahmen den größten Flächenanteil ein. Sie dienten der militärischen Ausbildung und der Stationierung der Truppen als Teil des Warschauer Vertrages. Das Land Brandenburg, der ehemalige Bezirk Potsdam, hatte flächenmäßig den größten Anteil. Nach dem Ende der DDR wurden die meisten Sperrgebiete aufgelöst. Die stationierten Truppen zogen sich aus den Gebieten zurück. Landschaft blieb, die nun durch Munitionsreste und chemische Stoffe großflächig kontaminiert ist. Hunderte Hektar bodenverseuchtes Land, das zum Naturschutzgebiet geworden ist, weil kein Mensch gefahrenfrei dieses Land betreten kann.

Sperrgebiete in der DDR waren alltäglich, da sie überall präsent waren, auch in den Städten. Es gab rätselhafte Geschichten und Vermutungen über das, was in den Sperrgebieten stattfand. Eltern ermahnten ihre Kinder vorsichtig zu sein, niemand sollte das unerlaubte Gebiet betreten. Die Folgen konnten fatal sein.

Anne Heinlein ist in der DDR geboren und groß geworden und wuchs dadurch mit der Normalität ständiger Sperrgebiete in ihrem Lebensraum auf. Für ihre Arbeit GEHEIMES LAND erkundete sie die ehemaligen Sperrgebiete der NVA und GSSD, recherchierte in den Akten der Staatssicherheit der DDR, sprach mit Zeitzeugen und durchstreifte die ehemaligen Sperrgebiete mit ihrer Kamera.

Dabei lief sie durch dichten Wald, vorbei an Wegen, still gelegten Bahndämmen, über ehemalige Truppenübungsgelände, kletterte in alte zum Teil verfallene Gebäude und Bunker, um Spuren zu finden. Weitläufige Areale, die wie ein eigenständiges Land undurchdringbar erscheinen. Es sind großformatige, schwarz-weiße Landschaftsfotografien der ehemaligen Sperrgebiete entstanden. Bilder von bedingungslosem Wald, dichten Gestrüpp oder Unterholz. Naturbühnen, die Räume aufmachen, die es zu füllen gilt und die Natur zeigen, die das Geschehene und deren Zeit überdecken.

Daneben sind farbige Fotografien von Oberflächen mit abgeblätterter Farbe oder alter Tapete in den verrotteten Bauwerken entstanden und werden zur Spur der vergangenen Zeit. Weiter entstanden Stillleben mit leeren Patronenhülsen, alter Essensbehälter oder Kleidungsstücke, die zu Relikten werden und Reproduktionen aus schulischem Soldatenlehrmaterial, die von Kriegs- und Kampfstrategien erzählen.

In den Akten der Staatssicherheit fand Heinlein vielfältige Berichte mit Tatortdokumentationen. Die ausgewählten Bilder erzählen von Soldaten, die mit Waffen in Bunkern und Panzern für den Ernstfall trainierten, um dazu ausgebildet zu werden, dem Staat im Krieg dienen zu können. Sie wurden geformt, gedrillt und eingesperrt. Einige wurden verletzt, verunglückten und starben dabei, andere wurden erschossen. Die das nicht Aushalten konnten, nahmen sich das Leben. Andere veränderten sich, passten sich an. Wieder Andere übten Macht aus, die sie durch ihre Rolle innerhalb des Sperrgebietes erlangten und demütigten andere Menschen. Die Akten scheinen uferlos und waren damals streng geheim.

Die künstlerische Arbeit GEHEIMES LAND ist eine vielschichtige Arbeit über eine Welt, die vergangen ist. Anne Heinlein beschäftigt sich aus der gegenwärtigen Welt mit der vergangenen Welt. Auf verschiedenen Ebenen werden Menschen und ihre Schicksale angedeutet, die rätselhaft und diffus bleiben. Bilder öffnen Türen und schließen sie wieder, Geschichten sind zu vermuten, ein Gefühl für die vergangene Zeit ist zu spüren. Scheinbare Wahrheiten werden in Bildern symbolhaft, andere Bilder widerlegen diese. Es ist ein Spiel mit verschiedenen Positionen, die alle Teil der historischen Wahrheitsfindung werden. So ist die Arbeit eine künstlerische Auseinandersetzung mit DDR-Geschichte, mit militärischem Drill, der in scheinbarer Perfektion auf den großen Krieg vorbereitet, mit Vergangenheit und wie wir diese fühlen, mit dem Schein der Wirklichkeit und verborgenen Wahrheiten, die rückblickend nicht eindeutig rekonstruierbar sind.

Geschichte funktioniert immer nur in der Erinnerung. Wahrheiten werden fragmentarisch, ungewiss je mehr Zeit vergeht. Neue Erfahrungen kommen hinzu, verdecken die alten. Für die Menschen, die dabei waren, bleibt ein Gefühl für das Erlebte, für die Vergangenheit. Für die anderen ist es eine Betrachtung und Wahrheitssuche, die auf Grund der persönlichen Erfahrungen, immer individuell ist.

Durch die verschiedenen Ebenen der Arbeit werden zeitgeschichtliche Zusammenhänge deutlich, Fragen werden aufgeworfen und Diskussionen angeregt. Die Kombination aus Bildern auf verschiedenen Ebenen zum selben Thema in der Ausstellung, macht dem Besucher eine besonders vielschichtige Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte möglich. Ganz anders als im Buch, können die Bilder intensiv wahrgenommen werden. Durch die verschiedenen Bildgrößen und die unterschiedlichen Bildebenen in der Ausstellung entsteht eine facettenreiche Darstellung der Geschichte, die den Betrachter in der Wahrnehmung bannt. Gleichzeitig wirkt Fotografie als Dokument, als Beweis für etwas, das stattgefunden hat, in Kombination mit dem Hören der Worte der geschriebenen Berichte der Staatssicherheit, bietet die Ausstellung die Möglichkeit für den Besucher, in die Geschichte einzutauchen und zu verstehen.

2022 ist das Buch GEHEIMES LAND im Fotohof Salzburg erschienen.

Info

  • + By: wp-admin
  • + In: Books