Stefanie Schneider / Studio Visit

Mit inszenierten Träumen in der Ästhetik abgelaufener Polaroidfilme wurde die deutsche Fotografin Stefanie Schneider (*1968) weltbekannt. Wir treffen Schneider kurz vor ihrem Umzug nach Kalifornien und sprechen mit ihr über ihre Projekte, die Bedeutung der Imagination und des Mythos des Amerikanischen Traums in ihrem Leben und Werk. 

Julia Rosenbaum / StudioVisits: Du hast Fotografie an der Essener Folkwang-Schule studiert. Wie kamst Du eigentlich zur Fotografie?

Stefanie Schneider: Ich habe früh Interesse an Fotografie gezeigt, was wohl daran lag, dass immer eine Kamera zugegen war. Mit 15 richtete ich mir bei meiner Großmutter im Keller meine erste Dunkelkammer ein. Seitdem wurde die Fotografie zu meiner Obsession. 

© Stefanie Schneider / Berlin 2020

© Stefanie Schneider / Berlin 2020

Von Essen nach Los Angeles – nach deinem Studium bist Du nach Kalifornien gezogen. Nicht weit davon entfernt, in 29 Palms im Joshua Tree National Park, entstehen heute noch Deine Werke. Was fasziniert Dich an diesem Ort?
Südkalifornien repräsentiert einen Traum für mich. Der amerikanische Westen hat weite, offene Landschaften, die uns eine Perspektive auf den Sinn unseres Lebens geben.

Er ist aufgrund seiner visuellen Eigenschaften und seiner symbolischen Bildsprache ein idealer Ort für die Fotografie. Zum Beispiel hat die High Desert von 29 Palms ein sehr klares und helles Licht, das für meine Aufnahmen auf Polaroid von entscheidender Bedeutung sind. Der abgelaufene Polaroid-Film produziert „Unvollkommenheiten“, von denen ich behaupten würde, dass sie die Fragilität und Vergänglichkeit der Umwelt und der Individuen, die sich in dieser Umgebung bewegen widerspiegeln. Diese Unvollkommenheiten veranschaulichen, dass der Amerikanische Traum ein Mythos ist, der irreführt und unerreichbare Ziele aufzeigt; Der Traum wird zum Albtraum. Der Zerfall der westlichen Gesellschaft. Das letzte Hurra.

Mich hat immer das Spannungsverhältnis in Deiner Arbeit zwischen der Poesie des Augenblicks und des narrativen Moments fasziniert. 

Ein schönes Beispiel für die ‘Poesie des Augenblicks’ ist die Arbeit ‘Spiegelbild’ – hier scheint das Bild in einem Zwischenmoment eingefroren zu sein. Das Davor und Danach verschwindet. Und dieses Zwischenmoment ist poetisch, fast musikalisch und voller Geheimnisse.

Welche Rolle spielt die Imagination in Deiner Fotografie?

Für mich gibt es keine Formel, jeder Prozess ist einzigartig. Die Imagination ist für meine Bilder und Geschichten sehr wichtig, denn sie bewegen sich außerhalb der Realität oder einer inneren Realität oder auch traumwandlerisch. Und es funktioniert wechselseitig, denn oft ist es so, dass ich mich mit einer Idee beschäftige und dann plötzlich ‘taucht’ die Szene vor meinem inneren Auge auf. Mir fehlt dann oft noch der passende Ort. Ein gutes Beispiel ist die “Stage of Consciousness” mit Radha Mitchell und Udo Kier. 

Worum geht es?

Radha verkörpert ein Mädchen, das voller innerer Konflikte lebt und nicht weiß, wie sie damit umgehen soll. Um sich selber auszuleben und diese Konflikte zu verstehen und sich zu reinigen wie in einer Katharsis des griechischen Theaters, durchspielt sie auf dieser Bühne ihre Beziehungsprobleme und die damit verbundenen inneren Konflikte. Sie übernimmt die Rolle des Mannes und der Frau. Eines Tages ‘erscheint’ ihr ein stummer Psychiater (Udo Kier), der ihr Karten wie ‘Liebe’, ‘Tod’, ‘Freude’. ‘Spiegelbild’ usw. vorhält, die sie dann nachspielt.

Das gleißende Licht der südkalifornischen Wüstenlandschaft ist sehr charakteristisch für Deine Werke. Mit diesem Licht schaffst Du inszenierte Träume in Polaroid, die z.T. von skurrilen Charakteren belebt sind. Wie entstehen Deine Produktionen? Und wie sieht Deine Arbeitsweise aus?

In diesem von mir beschriebenen Beispiel fand ich den richtigen Ort für diese Szene, als ich Jack Pierson’s Haus in Wonder Valley besuchte. Davor entdeckte ich ein Zementfundament mit schönem Ausblick. Für andere sah es ein wenig belanglos aus, aber für mich war es der perfekte Drehort für diese Szene, die sich so lange in meinem Kopf abspielte. Es fehlten natürlich noch die Kostüme, Requisiten und der türkisblaue Hintergrund. 

Zum einen ist in der Produktion Deiner Fotos nicht viel Planbarkeit drin, Du lässt viel Spontanes zu und gehst damit ein hohes Risiko ein. Zum anderen überlässt Du in Deinen Inszenierungen und der Wahl der Kostüme nichts dem Zufall. Wie genau geht das zusammen?

Oft nehme ich meine Kamera und beobachte. Ich lasse dann die Schauspieler die Szene interpretieren. Sollte es in die falsche Richtung gehen, muss ich einschreiten, aber meist ist alles perfekt, denn die Szenen sind den Schauspieler oft auf den Leib geschrieben; sie beschäftigen sich also mit Fragen, die sich die Schauspieler auch gerade selber stellen. Die Wüste um uns herum lässt viel Freiheiten, Ängste fallen von einem ab. Man befindet sich in einem Vakuum. Man vertraut und öffnet sich. Dadurch wirkt alles dicht und ehrlich. 

Was steckt hinter den 29 Palms Projects?

Viele Chapters des 29 Palms Projektes basieren auf ‘life imitates art, or art imitates life’. Besonders ‘Sidewinder’ inspiriert durch eine impulsive Liebesgeschichte, der Suche nach der Liebe und den Versuch zu verstehen, warum die Liebe nicht erwidert wurde. Hierzu entstand erst ein Projekt “Strange Love”, ein früher Versuch mit der ersten I-Chat Kamera. 

Wie ist “Strange Love” entstanden?

Ich stellte mich hier dar, traf mich on-und offline mit fremden Männern. Hierzu entstand eine multimediale Arbeit. Zeitgleich lernte ich online in einem chat room JD Rudometkin kennen, den ich fragte, ob er mit mir in die Wüste fahren würde. Er willigte ein und ich durchspielte mit ihm meine verlorene Liebe. Im Verlauf dieser Geschichte verliebte ich mich in ihn. Ich war wieder frei. JD war nicht nur der perfekte Schauspieler für diese Rolle, sondern entpuppte sich als ein guter Autor und wunderbarer Musiker. Die Grundlage der Geschichte bildete nicht nur meine verlorene Liebe, sondern auch eine Kurzgeschichte, die JD spontan nach unserer ersten gemeinsamen Nacht schrieb. Am Ende des Projektes entstand ein noch unveröffentlichte Buch mit JD’s Gedichten und ein Kurzfilm, untermalt mit seiner Musik. Als ich die Geschichte beendet hatte, meldete sich meine verlorene Liebe zurück und seitdem leben wir zusammen. 

„Amerika ist und bleibt das Land der Gegensätze. Auf der einen Seite fällt das Land auseinander, auf der anderen Seite ist es voller Ideen und Entwicklungen. Die Wüste war immer schon ein Ort der Künstler und Außenseiter. Hier fühle ich mich wohl und geborgen. Hier kann man Kontakt mit Gleichgesinnten aufnehmen, man kann aber auch mehrere Wochen sein Grundstück nicht verlassen und für sich sein, denken und arbeiten.“–Stefanie Schneider

Durch Hinweise wie Flaggen, Autos etc. verweist Du in Deinen Fotografien auf den Ort Amerika. Doch durch die helle, verblasste Farbigkeit werden Assoziationen des Surrealen, eines verklärten Mythos des amerikanischen Traums wachgerufen – voll Sehnsucht, Hoffnung, aber auch Resignation. Was ist Dein „Amerikanischer Traum“ heute?

Da meine Arbeit sehr nah mit meinem Leben verbunden ist und ich die Fragen des 29 Palms, CA Projektes gelöst habe, hat sich auch mein Leben und meinem ganz persönlichem ‘Amerikanische Traum’ weiterentwickelt. Amerika ist und bleibt das Land der Gegensätze. Auf der einen Seite fällt das Land auseinander, auf der anderen Seite ist es voller Ideen und Entwicklungen. Die Wüste war immer schon ein Ort der Künstler und Außenseiter. Hier fühle ich mich wohl und geborgen. Hier kann man Kontakt mit Gleichgesinnten aufnehmen, man kann aber auch mehrere Wochen sein Grundstück nicht verlassen und für sich sein, denken und arbeiten. Das ist mir sehr wichtig. Vor 10 Jahren haben ich mit Lance Waterman, meinem Partner, eine Ranch auf dem Land gekauft, mit Hühnern und Katzen, bald auch Eseln, dem eigenen Gemüseanbau, unabhängig mit Brunnen und Sonnenenergie. Meine Arbeiten spiegeln dieses mit der Serie “Chicks and Chicks and sometimes Cocks’ wider. Für mich ist der Aufbau dieser Ranch ein Gesamtkunstwerk. 

© Lance Waterman / Stefanie Schneider, Morongo Valley, California 2020

© Lance Waterman / Stefanie Schneider, Morongo Valley, California 2020

Dein Werk hat einen hohen Wiedererkennungswert, zum einen durch die Nutzung von Polaroids und einer bestimmten Farbigkeit. Brichst Du auch manchmal mit dem „Schneiderschen Stil“ und widersprichst den Erwartung, die von den Rezipienten an Dich herangetragen werden?

Die einzige Werkserie, die nicht nur auf Polaroid bearbeitet wurde, ist bis heute “Strange Love’. Sie ist auf 35mm und der I-Chat Kamera entstanden. Ich hatte auch andere Künstlerinnen zu dem Projekt eingeladen. Es war quasi die erste künstlerische Auseinandersetzung aus der Zeit meiner großen verlorenen Liebe. Die Arbeit fügt sich trotzdem ein in meine anderen Projekte. Leider habe ich diese Arbeit nie veröffentlicht. 

Ist für dich ein Bild erst gut, wenn es ein Restgeheimnis transportiert? 

Das denke ich schon. Gerade natürlich in der künstlerischen Fotografie. Denn nur so hat auch der Betrachter genügend Raum einzutauchen und die eigene Person mit einzubringen.

Du hast bereits erwähnt, dass der deutsche Schauspieler Udo Kier in Deinen Filmen mitwirkt. Wie habt ihr Euch kennengelernt?

Mit Udo ist das wirklich eine lustige Geschichte: 1996 hatte mein ehemaliger Partner ein Script geschrieben. Er wollte Udo Kier für die Hauptrolle. Wir waren Neulinge in Hollywood und wussten nicht, wie man ihm das Drehbuch zukommen lassen könnte. Ein Freund von uns traf ihn zufällig am Geldautomaten, erzählte ihm die Geschichte und Udo gab ihm seine Adresse. Dann drehten wir tatsächlich einen Film mit ihm und seitdem sind wir befreundet. 

Was fasziniert Dich an seiner Person? 

Er ist sehr exzentrisch und er hat auch immer gute Einfälle. Mir macht es großen Spaß, mit Udo zu arbeiten.

Wie so viele Künstler*innen in Berlin bist Du gezwungen, Dein Atelier bis zum Sommer aufzulösen. Wirst Du Deutschland jetzt ganz verlassen?

Ja. Deutschland und Europa lasse ich nun hinter mir. 

Die Verdrängung der Künstler*innen aus innerstädtischen Gebieten ist nicht nur ein Berliner Thema. Was sollte Politik Deiner Meinung nach in den globalen Großstädten anders machen?

Ich glaube, in Berlin ist nun schon alles zu spät. Berlin ist ja leider eine völlig andere Stadt geworden. Die wunderbaren ‘spaces of uncertainty’ gibt es schon lange nicht mehr. Berlin ist nicht mehr wirklich unterscheidbar von anderen Metropolen. Schade, dass so wenig besetzte Häuser an die Besetzer oder mehr Komplexe an Künstlergruppen vergeben wurden. Wie schade, dass kein grünes Mahnmal in der Mitte der Stadt blieb, sondern der Todesstreifen zubetoniert wurde. Wie richtungsweisend eine andere Stadtpolitik gewesen wäre, mehr Biotope, mehr Gärten. Ich glaube, man kann nur noch auf’s Land ziehen. Die Politik wird sich nicht ändern. 

 

Interview: Julia Rosenbaum, Juli 2020


StudioVisits bieten exklusive Einblicke in Künstlerateliers. Persönliche Gespräche mit Künstlern_innen eröffnen individuelle Perspektiven auf kreative Ideen, Prozesse und Inspirationen.

Julia Rosenbaum www.juliarosenbaum.com / Stefanie Schneider www.instantdreams.net