Johanna Diehl, Bila Cerkva, 2013, aus der Serie Ukraine Series, C-Print, 106 x 134 cm, Courtesy die Künstlerin und Galerie Wilma Tolksdorf Frankfurt/Berlin

Johanna Diehl, Bila Cerkva, 2013, aus der Serie Ukraine Series, C-Print, 106 x 134 cm, Courtesy die Künstlerin und Galerie Wilma Tolksdorf Frankfurt/Berlin

Johanna Diehl, Shepetivka, 2013, aus der Serie Ukraine Series, C-Print, 41 x 52 cm, Courtesy die Künstlerin und Galerie Wilma Tolksdorf Frankfurt/Berlin

Johanna Diehl, Shepetivka, 2013, aus der Serie Ukraine Series, C-Print, 41 x 52 cm, Courtesy die Künstlerin und Galerie Wilma Tolksdorf Frankfurt/Berlin

Johanna Diehl, MAGAZIN A.W.D. 13-25 (Bangkok 1973), 2019, aus der Serie Dead Dad Wild Country, C-Print, 47 x 33 cm, Courtesy die Künstlerin und Galerie Wilma Tolksdorf Frankfurt/Berlin

Johanna Diehl, MAGAZIN A.W.D. 13-25 (Bangkok 1973), 2019, aus der Serie Dead Dad Wild Country, C-Print, 47 x 33 cm, Courtesy die Künstlerin und Galerie Wilma Tolksdorf Frankfurt/Berlin

Johanna Diehl, MARS, 2019, Filmstill/Making of, Video, Projektion, Farbe, Sound, Dauer: 22 min, Courtesy die Künstlerin und Galerie Wilma Tolksdorf Frankfurt/Berlin

Johanna Diehl, MARS, 2019, Filmstill/Making of, Video, Projektion, Farbe, Sound, Dauer: 22 min, Courtesy die Künstlerin und Galerie Wilma Tolksdorf Frankfurt/Berlin

Johanna Diehl, OBJEKT I (Kostümteil aus der Inszenierung „Hänsel und Gretel“ von Johann Kresnik. Raum/Kostüm: Penelope Wehrli. Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin. Uraufführung: 24.11.1995), 2019, aus der Serie Dead Dad Wild Country, C-Print, 69 x 55 cm, Courtesy die Künstlerin und Galerie Wilma Tolksdorf Frankfurt/Berlin

Johanna Diehl, OBJEKT I (Kostümteil aus der Inszenierung „Hänsel und Gretel“ von Johann Kresnik. Raum/Kostüm: Penelope Wehrli. Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin. Uraufführung: 24.11.1995), 2019, aus der Serie Dead Dad Wild Country, C-Print, 69 x 55 cm, Courtesy die Künstlerin und Galerie Wilma Tolksdorf Frankfurt/Berlin

Johanna Diehl

In den Falten das Eigentliche

Haus am Waldsee e.V.

Argentinische Allee 30

D–14163 Berlin

 

Ausstellung:

29. November 2019 bis 01. März 2020

Öffnungszeiten:

Dienstag bis Sonntag von 11-18 Uhr

Ende November 2019 eröffnet das Haus am Waldsee eine erste Einzelausstellung mit der in Berlin lebenden und international vielfach ausgezeichneten Architekturfotografin und Künstlerin Johanna Diehl (*1977). Frei nach Walter Benjamin entwickelt sie ihre Arbeit von Anfang an aus dem Gedanken heraus, dass das Eigentliche der Geschichte in den Falten der Erinnerung steckt. Diehl spürt das Verborgene im jüngeren Gedächtnis Europas auf. Sie findet zu überzeugend klaren Bildern und überraschenden Präsentationsformen. Für die Ausstellung, die durch den Hauptstadtkulturfonds ermöglicht wird, sind im Rahmen ihrer neuen Serie „Alienation“ zwei neue Filmarbeiten entstanden.

Kuratiert von: Katja Blomberg und Johanna Diehl

Descriptions

In früheren, groß angelegten Bildserien ging es der Künstlerin um die Erkundung architektonischer Zeugnisse wie Synagogen, die halb zerstört zu Sporthallen, Kinos und Fabriken umgewidmet, in Osteuropa von vergangenen geopolitischen Konflikten erzählen. Dabei stand die Frage nach der Identität eines heutigen Europa sowie nach der Überschreibung von Geschichte, die in Räumen lesbar wird, im Vordergrund.

In jüngeren Serien rücken biografische Bezüge in den Vordergrund. Besonders beschäftigt Diehl die über mehrere Generationen bis heute nachwirkenden Traumata des Zweiten Weltkriegs, die sie anhand kultureller Archive der BRD-Nachkriegszeit bearbeitet. Für die Ausstellung im Haus am Waldsee sind neue Teile der Serie „Alienation“ (Entfremdung) entstanden, die sich aus Archiven der eigenen Familie speisen.

Nach Durchsicht der auf sie gekommenen Nachlässe und ausführlichen Studien in öffentlichen Archiven konstatiert Diehl emotionalen Mangel innerhalb der Familien sowie die weitgehende Verleugnung der Nazivergangenheit in den ersten Dekaden nach 1945. Anhand von Primärquellen wie Familienfotos und Tagebüchern, sowie der Inszenierung „Mars“ von Johann Kresnik 1983 in Heidelberg hat sie sich intensiv mit den Auswirkungen auf das seelische Umfeld auseinandergesetzt. Den weltweit rezipierten biografischen Bericht von Fritz Zorn, der ein Jahr nach dessen frühem Krebstod 1977 erschien, fand sich auch in der Bibliothek ihres Vaters, der Anfang der 1980er Jahre freiwillig aus dem Leben schied.

Den Auftakt bildet „Prelude“, eine Hängung, die neue Arbeiten wie „MARS“, „Dead Dad Wild Country“ und „Broken Repertoire“ vorbereitet und sich inhaltlich auf Fritz Zorns biografische Beichte „Mars“ aus dem Jahr 1977 bezieht. Darin weist der Schweizer Autor auf die Belastungen der Elterngeneration durch Nichtkommunikation hin, was in Einzelfällen zu Krankheit und Tod der Jüngeren führte.

Dead Dad Wild Country
In dieser Fotoserie aus dem Jahr 2018 befasst sich Diehl mit dem Schicksal ihres Vaters, der 1983 im Alter von 39 Jahren Selbstmord beging. Vor dem Hintergrund des Schweigens der Nachkriegszeit analysiert die Künstlerin anhand von nachgelassenen Bildern, Objekten und Tagebüchern das Verhältnis zwischen ihrem Vater und dessen Mutter, also der Großmutter, deren Nachlass auf die Künstlerin gekommen ist. Dieser Nachlass wird zum Material von Geschichtsschreibung in Diehls Bildserie. Reisefotografien aus Afrika, Südamerika, den USA und Asien zeigen den Hunger nach Luxus und Abenteuer der 1960er und 70er Jahre. An Stelle ihres auf diesen Bildern stets abwesenden Vaters, integriert Johanna Diehl Requisiten einer Inszenierung von Hänsel und Gretel durch Johann Kresnik 1995 an der Berliner Volksbühne. Diehl führt Kostümobjekte als Partialobjekte, also als körperlose Organe ins Bild ein, um die Leerstelle des abwesenden Vaters zu kennzeichnen. Darüber hinaus findet sie eine Analogie zwischen den Kostümteilen, in denen sich die Tänzer nur schwer bewegen konnten und der psychischen Beschädigung der unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg geborenen Generation.

MARS
Eine neue Filmarbeit bezieht sich auf das gleichnamige Buch des Schweizer Schriftstellers Fritz Zorn. In dessen autobiographischen Bekenntnissen macht der Protagonist seinen familiären Hintergrund als Teil der Zürcher „Goldküsten-Gesellschaft“ exemplarisch öffentlich. Das Schweigen und die vermeintliche Harmonie dieses Milieus habe ihn todkrank gemacht, betont der Autor. „Mars“ wurde in der Schweiz als Kult-Buch gefeiert. Auch Johanna Diehls Vater las es aufmerksam. Ein Exemplar befindet sich in seinem Nachlass.

Broken Repertoire – 7 Etüden für präpariertes Klavier Die Arbeit „Broken Repertoire“ bezieht sich auf die Musik von Walter Haupt zu dem Theaterstück „Mars“, das Johann Kresnik 1983 in Heidelberger uraufgeführt hat. Der Komponist Haupt wählte einen präparierten Flügel als alleinigen Klangerzeuger und wichtigstes Requisit. Aus den Mehrkanalaufzeichnungen erarbeitete der Musiker eine Komposition für elf präparierte Klaviere. Die Klaviere flehten, stöhnten, heulten und ächzten unter einer unüblichen Bearbeitung mit Leder-, Gummi- und Metallteilen, so als gäben sie den inneren Aufschrei des gequälten Fritz Zorn wieder. In der Ausstellung will Johanna Diehl die Idee des präparierten Klaviers aufgreifen. In Analogie zu Fritz Zorn versteht sie den Eingriff in den Körper des Instrumentes auch als Sinnbild für den Körper des eigenen, verstorbenen Vaters, der im bürgerlichen Haushalt am Klavier den guten Sohn vorstellen musste. Anders als Walter Haupt ist Johanna Diehls Klavier, das bei der Vernissage der Ausstellung von Marc Schmolling bespielt wird, mit Gegenständen aus dem Privatnachlass der Großmutter präpariert.

Der zweite Teil der Schau gibt im Obergeschoss des Hauses am Waldsee eine komprimierte Werkschau als dichten Überblick über das bisherige Werk von Johanna Diehl. In jeder der gezeigten Werkgruppen – „Utopie / Eurotopians“, „Alienation“, „Marini / Fallender Reiter“, „Italien / Fascismo / Modernismo“ und „Ukraine Series“ – entstehen neue Fragestellungen zu Konflikt und Identität. Die Hängung gibt zuweilen Serienzusammenhänge zu Gunsten von Themen-Archipelen auf. Durch die Polyphonie dieser besonderen Hängung wird der Versuch unternommen, „Visuelles Begreifen“ erfahrbar zu machen. Ein Begriff, den der Großonkel der Künstlerin, Arnold Bode geprägt hat, der 1955 in Kassel die documenta gründete.

Mit dem Begriff „Visuelles Begreifen“ meint er einen Umgang mit Bildern, der das Denken als dialogisches In-Bezug-Setzen versteht. Dabei bilden sich nicht nur Bedeutungsbezüge innerhalb einer jeweiligen Werkgruppe. Stattdessen treten übergreifend alle angebotenen Themen miteinander in Dialog.

Johanna Diehl wurde 1977 in Hamburg geboren. Sie lebt und arbeitet in Berlin. Sie studierte Fotografie und Bildende Kunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig bei Prof. Timm Rautert, Boris Mikhailov und als Meisterschülerin bei Prof. Tina Bara sowie an der École nationale supérieure des beaux-arts de Paris bei Christian Boltanski und Jean-Marc Bustamante. Ihre Arbeiten werden in nationalen und internationalen Ausstellungen gezeigt (Bucerius Kunst Forum, Hamburg, Anderson Gallery Buffalo/NY, Pinakothek der Moderne München, Akademie der Künste, Berlin, Zentrum für Kunst und Medien, Karlsruhe, Multi- media Art Museum, Moskau) und befinden sich in der Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland, der Stiftung für Fotografie und Kunstwissenschaft Ann und Jürgen Wilde, der DZ Bank Kunstsammlung und in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen sowie der Sammlung der Pinakothek der Moderne in München. Die Künstlerin erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Stipendien, u.a. Stiftung Kunstfonds, Bonn, Akademie Schloss Solitude, Stuttgart, Konrad-Adenauer-Stiftung (EHF), Berlin und der deutschen Akademie Villa Massimo (Casa Baldi) in Rom.

(Presse: Haus am Waldsee)

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