Norman Behrendt

Brave New Turkey

Norman Behrendt (*1981 in Berlin) dokumentiert seit über drei Jahren die neu errichteten Moscheen, die sich zwischen den modernen Hochhäusern in Istanbul und Ankara befinden. Fasziniert von diesen klassisch-osmanischen Moscheen, entstand die Serie “Brave New Turkey”, die bereits 2017 in Arles gezeigt wurde und vom 20.–22. April 2018 während der Darmstädter Tage für Fotografie in Darmstadt und bis zum 15. Juni 2018 in Stuttgart in der Galerie UNO ART SPACE – UTE NOLL zu sehen ist.

VTph: Norman, dein Projekt “Brave New Turkey” ist ein ongoing project und daher in stetiger Entwicklung. Was war damals der Auslöser für dich, um dieses Projekt zu starten?

Ja, das stimmt. Das Projekt selbst ist noch nicht abgeschlossen. Der wirkliche Auslöser war eigentlich nur ein kurzer Schlüsselmoment bei meinem ersten längeren Aufenthalt in Ankara im Jahr 2015. Ich kann mich noch genau an diesen Moment erinnern, wir sind mit dem Auto aus dem Zentrum zurück nach Batikent (einem Außenbezirk) gefahren. Die Abendsonne stand schon tief am Horizont und spiegelte sich in den Fassaden der Häuser. Wir passierten ein großes Neubaugebiet mit zahlreichen sich noch im Rohbau befindenden Hochhäusern und einer Brache mit vielen Hügeln aus Bauschutt und Erde. Zwischen den modernen Hochhäusern befand sich eine klassisch-osmanische Moschee. Dieses Bild ging mir nicht aus dem Kopf. Am nächsten Tag kehrte ich zur gleichen Uhrzeit an diesen Ort zurück und machte mein erstes Bild für diese Arbeit. Das Bild zeigt die Niyaziye Serifi Mosque in Yenimahalle, die aber entgegen meiner Erwartung nicht historisch war, sondern ebenso wie die umliegenden Apartmentblocks frisch fertig gestellt wurde. Das empfand ich als sehr interessant. Die Moschee glich exakt ihren historischen osmanischen Vorfahren aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Nach ersten Recherchen fand ich heraus, dass dies kein Einzelfall ist, vielmehr, dass der türkische Staat den Bau von zahlreichen Moscheen in der ganzen Türkei finanziert. Laut New York Times wurden allein zwischen 2006 und 2009 neuntausend neue Moscheen in der Türkei gebaut.

VTph: Verspürst du selbst eine bestimmte Affinität zum Islam?

Nein. Ich bin religionslos. Jedoch finde ich es interessant, wie die Religion im 21. Jahrhundert wieder einen Aufschwung erlebt – das ist keine Entwicklung, die ausschließlich im Islam stattfindet, das kann man weltweit in allen großen Weltreligionen beobachten. Das finde ich sehr spannend, wenn auch nicht wirklich verwunderlich. Betrachtet man sich den Lauf der Geschichte, dann wird immer wieder sichtbar, wie sich bestimmte Dinge wiederholen. Auch auf die Zeiten der Aufklärung im 18. Jahrhundert, in der rationales Denken, die Hinwendung zu den Naturwissenschaften und die Emanzipation von üblichen Traditionen Einzug hielten, folgten im 19. Jahrhundert wiederum Entwicklungen, die zur Erstarkung des Christentums führten. Als Antwort auf den Kommunismus und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kann man so gut wie in allen ehemaligen Ländern der Sowjetunion eine Besinnung auf die alten christlichen Werte beobachteten. Mit der Gründung der Türkei 1923 versuchte Atatürk, der erste türkische Präsident, mit allen Mitteln die Türkei hin zu einer modernen, westlich-orientierten, säkularen Republik zu entwickeln. Heute können wir feststellen, wie der Islam wieder zur nationalen Identität wird.

VTph: Monumentale Architektur wird auch in diktatorischen Staaten als Ausdruck der politischen Macht und oftmals auch zur Einschüchterung von Andersdenkenden genutzt. In demokratischen Staaten sind es aber zumeist Symbole der wirtschaftlichen Macht, mit denen architektonisch ein Statement zelebriert wird. Warum war für dich der Orient, oder genauer die Türkei, so interessant für dich?


Mein Zugang ist zum einen sehr persönlich – meine Freundin kommt aus der Türkei. Wir sind regelmäßig zu Besuch bei Familie, Bekannten und Freunden, da bekommt man einiges von den individuellen Sorgen und Problemen mit. Ich denke, dadurch war ich von Anfang an sehr stark für die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der Türkei sensibilisiert. Gleichzeitig komme ich aus Deutschland und bringe meine eigenen Erfahrungen mit, die natürlich sehr stark durch die westlichen Medien, die Außenpolitik Deutschlands und der EU im Hinblick auf die Türkei als EU-Beitrittskandidat geprägt sind.

VTph: Wie kamen die Kontakte zustande, waren es spontane Begegnungen?

Das ging zum größten Teil alles über meine Freundin und dem engen Bekanntenkreis. Sie kommt aus einer sehr offenen Familie, die meine Arbeit von Anfang an verstanden hat und mich darin sehr unterstützte. Ein guter Freund der Familie und selber Fotograf kennt sich in Ankara unglaublich gut aus. Er ist viel unterwegs und teilt mein Interesse für die Neubau-Moscheen in der Türkei. Er hatte schnell verstanden, was genau mich interessierte und wie ich arbeite und hatte mir dadurch zahlreiche Türen geöffnet, die sonst verschlossen geblieben wären. Danke Mebrur und Ali!

VTph: Welche Orte stehen noch auf deiner Liste?

Obwohl die Entwicklung in der ganzen Türkei stattfindet und ich auch viel in Istanbul fotografiert habe, konzentriere ich mich in meiner Serie „Brave New Turkey“ auf die Hauptstadt Ankara, der meiner Meinung nach, eine Schlüsselrolle zukommt. Ankara wurde durch Kemal Atatürk 1923, nach dem erfolgreich geführten Befreiungskrieg gegen die Alliierten, zur Hauptstadt erklärt. Das war ein bewusster Bruch Atatürks mit dem Osmanischen Reich, in dem Istanbul die Hauptstadt war. Doch Atatürk wollte die junge türkische Republik weg vom Osmanischen Reich und hin zu einer modernen Republik führen. Er brach mit dem Sultanat des Osmanischen Reiches, sandte die Kalifen ins Exil und reformierte die Türkische Republik im Sinne des Kemalismus, der, neben anderen Reformen, den Laizismus – die Trennung von Staat und Religion – beinhaltete. Ankara wurde Hauptstadt und Regierungssitz, von der aus Atatürk die junge türkische Republik reformierte, so wurden z.B. die Religionsschulen abgeschafft und die religiösen Gerichtshöfe geschlossen. Die Dokumentation der Neubau-Moscheen in Ankara steht somit repräsentativ für die gesamte türkische Entwicklung.

VTph: Gibt es daher auch Moscheen außerhalb der Türkei, die dein Interesse wecken?

Klar, bei meiner Recherche bin ich natürlich auf zahlreiche andere interessante Moscheen außerhalb der Türkei gestoßen. Aber genauso auch auf interessante Neubau-Kirchen im Balkan, Polen, Russland oder Rumänien.

VTph: Du bist gerade für ein Jahr nach London gezogen. Was sind deine Pläne, woran wirst du arbeiten oder lässt du dich überraschen?

Ja, das stimmt. Ich mache gerade meinen Master in „Photographic Arts“ an der University of Westminster in London. Woran ich arbeite, möchte ich eigentlich noch gar nicht verraten, aber wir haben ja eine Abschlussausstellung Mitte Juni. Kommt vorbei!

 

Interview: Nadine Ethner

Das Interview wurde im März 2018 geführt und zuerst auf dem Hatje Cantz fotoblog veröffentlicht.


© all images by Norman Behrendt // group show Darmstädter Tage der Fotografie April 20–22, 2018 // Exhibition „Brave New Turkey“ at UNO ART SAPCE – UTE NOLL until June 15, 2018