Jin Ping

„Gletscherschmelze in Tibet – Eine Spurensicherung“

Jin Pings Auseinandersetzung mit dem blauen Element

 

In keinem anderen Teil der Erde ziehen sich die Gletscher so schnell zurück wie auf der im Südwesten Chinas gelegenen Qinghai-Tibet-Hochebene. Der durch die globale Erderwärmung ausgelöste, fortschreitende Tauprozess und die ökologischen Folgen veranlassten den chinesischen Künstler Jin Ping, die unaufhaltsam schwindende Eislandschaft über einen Zeitraum von vier Jahren mehrmals zu erkunden und mit seiner Analogkamera festzuhalten. Für seine außergewöhnlichen Aufnahmen drang er immer wieder tief in die eiskalte, ca. 5000 Meter über dem Meeresspiegel liegende Gletscherlandschaft vor. Sein fotografisches Material spiegelt Momentaufnahmen eines gegenwärtigen Zeitgeistes wider.

Auf einigen Werken versperren frontal abgelichtete Eisberge den Blick auf den Horizont. Andernorts verschmilzt die eisblau schimmernde Berglandschaft mit dem strahlenden Blau des Himmels. Mitunter zeichnen sich konturenscharfe Kontraste in der bläulichen, menschenleeren Eiswelt ab und reflektieren das Sonnenlicht. Manche Gipfel sind nackt. In den Tälern lugt kahler Geröllboden aus der Schneelandschaft. Vereinzelt ragt eine übrig gebliebene und erneut wieder zu Eis erstarrte Formation auf felsigem Untergrund in den Himmel. Manchmal ist nur die Innenwelt einer Eishöhle zu sehen. Oftmals haben sich frische, zum Teil gefrorene Gletscherseen gebildet. In die vereisten Seenufer tropfen erstarrte kristallklare Eiszapfen hinein, durch Temperaturschwankungen verformt. Jin Pings einzigartige Ansichten vom Qinghai-Plateau verweisen in ihrer Vielfältigkeit auf den Schmelzprozess, der die himalayische Hochebene von ihrem jahrhundertealten Eismantel entblößt.

Der Eindruck vor Ort, inmitten dieser gigantischen Gletscherlandschaft, muss überwältigend sein. Um diese Atmosphäre zu transportieren, experimentiert Jin Ping bei der Transformation des Abbildes vom 51 x 61 cm großen Negativ in das spätere Kunstwerk mit emotional verstärkenden Stilmitteln. Mit dem Edeldruckverfahren der Cyanotypie färbt er seine Gletscherwelt in das typische Berlinblau¹ ein und bringt sie so auf Seide oder Glas. Eine Pioniertechnik der Fotografie, die heute wieder vermehrt Anwendung findet.² Die Cyanotypie ist das lichtbeständigste aller fotografischen Verfahren. Analog sind Seide und Glas beständiger als Fotopapier. Die Seidenbilder spannt Jin Ping in einen Holzrahmen, die Glasbilder belässt er als Objekte.

Ein durchgängiges Leitmotiv in Jin Pings Serien wie „Apokalypse“, „Kuba“, „Papierherstellung“, „Dege Impressionen“ und nun „Gletscher“ ist der bedingungslose Fortschrittswille des Menschen und die daraus resultierenden Konsequenzen für Natur und Gesellschaft. Sein künstlerisches Arbeiten fokussiert sich auf soziale und geografische Phänomene, die diese Konsequenzen sichtbar machen, etwa das Verschwinden von Kultur- und Lebensraum oder das Aussterben von alten Handwerkstraditionen. Doch obwohl seine Serien auch dokumentarische Aspekte beinhalten, sind sie nicht als wissenschaftliche Bestandsaufnahmen angelegt.

So gibt es auch in der Gletscherserie keine dokumentierten Vorher-Nachher-Vergleiche oder geografische Bestimmungen, wie z.B. bei Olaf Otto Beckers Gletscherbildern in Grönland, die mit Koordinaten betitelt wurden. Auch der Bildaufbau dieser beiden „Gletscherfotografen“ unterscheidet sich. Jin Ping rückt zumeist horizontversperrende Gletscherformationen frontal in den Vordergrund. Eine derartige Verknappung der Tiefendimension in der Landschaftsfotografie erinnert an die traditionelle chinesische Malerei, die allerdings nicht zentralperspektivisch angelegt war. Auffallend ist, dass in Jin Pings Aufnahmen die romantische Lichtzeichnung, um etwa die ästhetische Schönheit des Eises zu beleuchten, nicht im Vordergrund steht. Vielleicht ist dies etymologisch zu begründen: Im Westen geht der Begriff „Fotografie“ auf das griechische photós graphein zurück, was soviel bedeutet wie „mit dem Licht schreiben“. Hingegen beschreibt in China der Begriff she ying in der wörtlichen Übersetzung den „Umgang mit den Schatten“³ .

Jin Ping schattiert malerisch in tonalen Abstufungen im Spektrum der Farbumgebung Blau bis zu weißen Kontrasten. Sowohl in der westlichen Farbsymbolik als auch im Feng-Shui wird die Farbe Blau dem Element Wasser zugeordnet. In Jin Pings Bildwerken ist das Blau so elementar, dass es das gefrorene Wasser als „blaues Element“ versinnbildlicht. Es wirkt so blau, wie das Wasser scheinen kann, wenn es vom gefrorenen Aggregatzustand in den flüssigen übergeht – wie bei der Gletscherschmelze. Der Abdruck auf glänzende Seide oder durchsichtiges Glas verstärkt diese Tonabstufungen: Eine kühle, eisblaue Atmosphäre entsteht. Seide ist ein kostbares Naturmaterial und würde weich fließend im Wind flattern, wäre sie nicht, wie hier, fest auf einen Holzrahmen gespannt. Das starre Glas korrespondiert mit dem abgebildeten, zu Eis gefrorenen Wasser. Der Transformationsprozess der Abbilder in Bildobjekte entfaltet eine starke atmosphärische Wirkung – verstärkt durch das Wissen des Betrachters, dass diese konkreten Objekte die Lebenszeit der abgebildeten, schmelzenden Gletscher wahrscheinlich überdauern werden.

In einer Zeit digitalfotografischer Überproduktion – und einer zunehmenden Desensibilisierung dem Abbild gegenüber – zieht Jin Ping los und erwandert entlegene Winkel der Welt, die ihr Geheimnis in sich bergen, um das dort Gesehene in einem langwierigen und mühevollen Prozess aufzunehmen und zu materialisieren. Die Wahl einer solchen Vorgehensweise ist bezeichnend, steht sie doch der sekundenschnellen Bildverarbeitung der Gegenwart konträr gegenüber.

Den Kategorien der Gegenwart wie der Flüchtigkeit, der Vergänglichkeit oder dem Vergessen begegnet Jin Ping mit Beobachten, Langsamkeit, präzise gewählten Materialien, traditionellen Stilmitteln – und dem Rückgriff auf eine alte fotografische Technik aus einer Zeit, in der sich die Fotografie als Kunstform erst noch etablieren musste. Heute wiederum muss sich ein künstlerisches Foto in der Masse der digitalen Bilderflut behaupten.

Jin Pings Landschaftsaufnahmen bezeugen den Status quo und mit seinem transformativen Werkprozess kommentiert er diesen gleichsam. Seine Bildobjekte, die sich weder der Fotografie noch der Malerei eindeutig zuordnen lassen, wirken der Gegenwart als eingefrorene Zeit materiell und symbolisch entgegen. „Den Stoff sieht jedermann vor sich, den Gehalt findet nur der, der etwas dazuzutun hat, und die Form ist ein Geheimnis den meisten.“ (Goethe)

 

Steffi Weiss

 

¹ Der Farbton Berlinblau, auch Preußischblau genannt, wird in der Cyanotypie verwendet. Sir John Herschel erfand 1842 die Cyanotypie, die auch als Blaudruck oder Eisenblaudruck bekannt ist. Es ist ein altes fotografisches Edeldruckverfahren, das typisch cyanblaue Farbtöne hervorbringt. gl. http://de.wikipedia.org/wiki/Cyanotypie

² So greift etwa Thomas Ruff in seiner Serie „Negative“ (2014) darauf zurück, indem er von bereits bestehenden analogen Fotografien digital den Sepiaton in ein Cyan umwandelt und diese wie bei der Cyanotypie als „Negative“ druckt.

³ vgl. Tilmann Spengler: http://www.zeit.de/2006/22/Humanism-in- China_xml China: Dass man die Schatten einfängt und das Funkeln des Lichtes hervorruft und nach Übereinstimmung sucht? Zuletzt aufgerufen am 20150403

 

© all images by Jin Ping, Beijing, China

 


藏地冰融 / 痕迹 – 现场

– 金平对于蓝色元素的诠释

 

在地球上,还没有哪个地方的冰川如同中国西南部的青藏高原那样在迅速的消失。 全 球变暖加速了融化的过程,社会发展与环境之间的冲突,让这一片藏地的雪原冰川还 在不断的融化,缩减。为了记录这一现场,记录下冰川消失中的痕迹,中国摄影家金 平在四年的时间里,多次前往西藏地区的雪山高原,用他的折叠式相机记录下了冰川 在融化过程中的瞬间。 为了创作这批非比寻常的摄影作品,金平多次深入海平面5000 米以上的高原,在极度严寒的冰川间跋涉。他所拍摄的摄影作品,也代表了当前的一 种时代精神。

在一些作品里,前方的雪山挡住了地平线。 在图片的其他位置,冰蓝闪烁的山川在融 化,天空蓝得发亮。 清晰而明锐的对比和反差不规则的分布在这个蓝色的,人迹罕至 的冰雪世界里,同时也反射着阳光。 有些山峰光秃秃的,在山谷深处还能看到雪原上 的岩层和石块。 在一些岩层上布满了重新凝固成形的冰峰,直插向天空。 有一些照片 展现的是冰窟的内部世界,比较常见的是刚开始结冰,只冻上了一部分的冰川湖。 在 结了冰的湖岸上是水晶般清澈的冰锥,由于温度的不稳定,它们的形状也在改变。 透 过金平独一无二的视角,人们看到了青藏高原的冰川在融化过程中各种各样形态上的 变化,喜马拉雅高原正在褪下它身穿了千万年的冰雪大衣。

身处在如此宏伟而壮丽的冰川雪原中,一种被大自然所征服的感觉会油然而生。 为了 还原这样的感觉和氛围,金平在处理这些51 x 61 厘米的底片时,加重了它们在情感上 的表现。他采用了蓝晒法这种很少见的摄影工艺,将他的冰川世界染成了地道的“柏林 蓝 ¹ ”,并且将这种蓝色还原到了丝绸和玻璃上。蓝晒法是摄影发展初期的一种先锋技术,现在重新开始使用这种技术的人也在增多 ²。蓝晒法是所有摄影工艺中抗光性最稳定 的一种技术,而丝绸和玻璃的保存性又比普通的相纸更持久。金平把丝绸上的摄影作 品绷上了木框,玻璃的作品则单独陈设。

在金平的摄影系列里,“天启”, “古巴”, “造纸”, “德格印象”,以及如今的“冰川”,它 们展现的是人类社会在无限制的发展中所表现出的惊人的意志力,以及由此对于自然 和社会所造成的巨大影响。 他的艺术作品往往聚焦于社会现象及地理现象,包括很多 在我们的文化空间和生命空间里逐渐消失甚至灭绝的传统手工技术,而这些所发生的 现象又通过他的镜头更加清晰而深刻的地展现了在我们面前。 金平的摄影作品里也包 含一些文献性质的摄影作品,但是从作品的艺术高度上来比较,它们不能归属于科学 研究方面的记录。

在金平的冰川系列里并没有“时间上的前后对比 ”,或者是明确的地理标注。比如摄影 家Olaf Otto Beckers在拍摄格陵兰岛的冰原时,就是以地理坐标来给照片命名的。在 照片的构图方式上,这两位摄影家的“冰川摄影作品”也有很大的不同。在金平的多数作 品里,冰川都占据着作品的正前方,挡住了远方的地平线。在景观摄影(Landscape Photography)中,这种对于作品深度和尺度的简练表达方式让人不由得联想到中国的传 统绘画,一种不属于中心透视法的绘画方式。 在金平的作品中,引人注目的是那些浪 漫的光影,它们并不处于图片的前方,却照亮了冰的美丽。 也许这两位东西方的摄影 师所展现的不同可以用词源学来解释:在西方,“Fotografie“ 这个词来源于古希腊语中  „photòs graphein“, 它的本意大概是“用光来记录”。与之相反,在中国“摄影 „she ying“ 这个词如果单以字面的含义来翻译,它的意思是“与影子相和” ³

如同画家用画笔调色,金平利用光影来处理蓝色与白色之间的反差,平衡图片中色彩 和光谱的分布。蓝色对于西方人来说,通常象征着风水Feng-Shui中的水元素。在金平 的作品里,蓝色是如此之多,这些冰冻住了的水,似乎就是蓝色元素的象征。它是这 么的蓝,似乎当冰川融化时,这些水从冰冻的固态转移到了液态,它们都在闪闪发光。 而通过光滑的丝绸以及透明的玻璃,每一层的色谱都得到了强化:一个寒冷而冰蓝 的氛围油然而生。 一般来说,丝绸作为一种昂贵的自然材料,通常是柔软的,飘扬在 风中,而不是被木框紧紧的绷住。而坚硬的玻璃,它与冰冻住了的水产生了相似的效 果。 这些材料上的转变同时也起到了一种加强氛围的作用,观赏者的感受和认知被加 强了,似乎不由得会去思索:也许这些艺术作品所存在的时间,将会比图片中的冰川 更长久。

这是一个数码摄影师过剩的时代, 人们对于图像丧失了敏感。 金平开始动身,漫游到 了世界偏僻的角落,一个深藏着秘密的地方。为了让作品更加的突出当时的氛围,金 平在创作过程中选择了一段漫长而困难的道路。 对于这样一种行动的选择是令人叹服 的,特别是在当下这样一个快速图片处理泛滥的时代。

在表现“灾难”,“瞬间”以及“遗忘”这样的主题时,金平仔细地观察,采用的是稳定而缓 慢的方式。他准确选择材料,使用传统的表现方法 – 同时还使用了一种古老的照片显 影技术。 在摄影技术出现的早期时代,摄影还并未归属于艺术的范畴。而到了今天,一张艺术家的摄影作品,却必须在电子图片的洪流中坚守住自己的位置。

金平的景观作品中还原了当时的状态,同时,多种材料的使用也让其作品更加具象化。 他的摄影作品,既属于摄影,也属于绘画,无论是从在材料的选择或者象征意义上,它们都在抵御着如今这个冰冻的时代。 “每个人都看得到眼前的事物,而它的构成,却只有做过的人才知道, 至于它的精髓,对大多数人都是一个谜。”(歌德)

 

斯特菲 韦斯(Steffi Weiss)

 

¹ 柏林蓝是一种色调,也称作普鲁士蓝,是在蓝晒法所用到的颜色。Sir John Herschel在1842年发明了蓝晒法,它也称作Blaudruck蓝印法或者Eisenblaudruck铁蓝印法,这是一种古老的照片显影方式,展现的是一种地道的氰蓝色.http://de.wikipedia.org/wiki/Cyanotypie

² 比如Thomas Ruff 的“Negative底片(2014)”系列,在他的这个系列里,他把已经有了的一些胶片摄影用电子技术把作品处理成“底片”系列,最后的效果类似于蓝晒法。

³ Tilmann Spengler文章: http://www.zeit.de/2006/22/Humanism-in- China_xmlChina: Dass man die Schatten einfängt und das Funkeln des Lichtes hervorruft und nach Übereinstimmung sucht? Zuletzt aufgerufen am 20150403