Cy Twombly

„Angel’s Trumpets – Music from Heaven“

 

Lichtdurchflutete Fenster, Gegenlicht. Ein Frühling, der fast ein ganzes Jahr anhält. Pfingstrosen, Tulpen, Engelstrompeten. Glitzernde Meeresoberflächen in der Bucht vor Gaeta. Eine Küste aus Felsgestein und Höhlen, in denen sich das Meereswasser in großen unterirdischen Becken sammelt.

Meist sind es Momentaufnahmen, spontane und gedachte Situationen, die zu kostbar waren, als dass sie der Unendlichkeit der Zeit zurückgegeben werden sollten. Die großen und kleinen Amplituden des Lebens waren es,  die Cy Twombly in seinen Fotografien festhielt. In Diptychen, Triptychen und manchmal auch in freien Kompositionen angeordnet, erzählen uns die Fotografien etwas von seinem Süden, dem italienischen Licht, den emotionalen Stimmungen, dem Eins-Werden von Himmel und Meer, dem mediterranen Klima und dem Scirocco – dem heißen Wind, der sogar Wüstensand aus Afrika mit nach Italien bringt und den Himmel ockergelb färbt.

“Jenseits aller ästhetischen Diskurse, abseits unseres Erlebens von Bildern, die uns reziprok als Echo einer gleichgestimmten besitzergreifenden Sprache von Kunst- und Lebensformen erleben, sehen wir in den Photographien Cy Twomblys das unsichtbare Hervorrufen poetischer Anatomien, eine einzelne Stimme in der Betrachtung ohne Evidenz, eine Form des Festhaltens emotionaler Zeichen: Das Explizite einer jeden Behauptung ist verbannt. Stattdessen, die Hinwendung zu allem, was allusiv und diaphan ist: Man betrachte nur diesen Hauch einer Handvoll ephemerer Blüten und deren lichte Seidenschatten, verstreut auf einem Küchentisch! In der Photographie Cy Twomblys verliert sich die Wirklichkeit, aufgelöst in Sinnlichkeit. Denn das Bild soll nur das Inkarnat jenes Moments sein, in dem diese Blüten das poetische Ereignis waren.”

Heiner Bastian

Cy Twombly hatte mit “Leda und der Schwan”, “Die Krönung von Sesostris” und “Lepanto” die Mythen längst vergangener Zeiten ins Zeitgenössische übersetzt. Seine Gesten, seine wild-zarten Pinselstriche, die über die großen Flächen gleiteten, die zuvor mit emotionaler Kraft jede Schicht erarbeitet hatten – all diese malerischen und menschlichen Gesten, die Malerei ausmachen, finden sich auch in seinen Fotografien wieder.

Da! Ein zarter Ton, der durch die transparenten Blütenblätter schwingt – als Farbton und Klangton zugleich. Ein Free-Jazz-Intro – oder eine Fuge? Die Töne bringen die Blätter zum Vibrieren, mischen Stimmen der Gegenwart mit dem Gesang der Sirenen von weit her.

Manchmal ist das Klangstück sofort beendet, manchmal schwingen die angeschlagenen Töne noch nach und erschaffen damit eine neue mentalen Öffnung. Es ist ein Ton, der nie aufhört zu schwingen, der Jahre und Jahrzehnte, Zeiten und Generationen miteinander verbindet. Cy Twombly war Meister der Amplitude, Meister des Verstärkens der Töne.

“Farben schmelzen in das Papier und verlaufen in den definierten Konturen zu Zwischentönen. Auf den ersten Blick scheinen diese Bilder nostalgisch, in Wirklichkeit sind sie zeitlich entrückt.”

Nadine Henrich

Die Ausstellung „Photographs“ ist ein behutsam zusammengestelltes Ensemble. Sie lässt uns erneut und spontan in die Zyklen von Cy Twomblys Werk und Leben eintauchen.

 

Nadine Ethner / Mai 2016


 © all images by Cy Twombly / Courtesy Galerie Bastian / Fondazione Nicola Del Roscio // „Cy Twombly – Photographs“ edited by Céline Bastian, Texts by Heiner Bastian and Nadine Henrich