Claire Laude

Claire Laude (*1975 in Frankreich) ist Architektin und Künstlerin, sie lebt und arbeitet seit 1998 in Berlin. Ihre Arbeit hinterfragt den Begriff der Spuren. Anhand gefundener Materialien ändert sie einen Ort auf eine minimalistische Art und baut provisorische Installationen, die auf Ungewogenheit und Verletzlichkeit hinweisen sowie auf die Prozesse der Zeit. Damit steht sie an der Schwelle zwischen Wirklichkeit und Poesie. Im Jahre 2001 und 2006 studierte Claire Laude an der Schule „Fotografie am Schiffbauerdamm“ und war drei Jahre Meisterschülerin bei Arno Fischer in der Ostkreuzschule Berlin.

VTph: Claire, in deiner letzten Ausstellung hattest du verschiedene deiner Projekte zusammengeführt. Die neuen Arbeiten zeigst du aber wieder einzeln, als einzelne Werkgruppen, wie in deiner aktuellen Ausstellung in Ahrenshoop.

Claire Laude: Die Idee der letzten Ausstellung war gewesen, unterschiedliche Positionen zusammenzubringen, und das hatte auch wunderbar mit Ina Schoenenburg funktioniert. Unsere beiden Ansätze haben sich sehr gut ergänzt. Ich hatte mehrere Projekte und Ansätze zeitgleich vorgestellt und das war genau der gleiche Ausgangspunkt, den auch Ina verwendete. Ina zeigte eine Arbeit in verlassenen Gebäuden, so dass es zu einer Gegenüberstellung unserer Gemeinsamkeit kam, da auch ich oft in verlassenen Gebäuden arbeite und dort meine Installationen mache, um sie dann in das Bild zu überführen.

VTph: Die Orte wechseln, aber deine Serien führen sie wieder zusammen. In diesen verlassenen Orten findet man Spuren und Markierungen, fast eine Art Mapping.

Claire Laude: In der Serie „When water comes together with other water“ geht es um Verletzlichkeit und Natur. Ich hatte die Serie in einem verlassenen Militärgebäude fotografiert – eines dieser Gebäude, wie man sie noch sehr oft im Umkreis von Berlin findet. Der lange leere Raum, ganz faszinierend, aber gleichzeitig sehr minimalistisch, gab mir die Möglichkeit, trotz Leere mit dem zu arbeiten, was ich vorfand. Obwohl, so ganz leer ist ein Raum ja nie. Bevor ich meine Installationen aufbaue, entrümpele ich erst einmal diesen Ort, nehme mir dann aber auch wieder interessante Materialien heraus, die mir bei dieser Aktion ganz besonders aufgefallen sind. Es geht mir um den Ort und seine Geschichte, wie man durch ihn die Vergangenheit sieht und auch etwas Neues darauf aufbaut.

VTph: Sind es die Schichtungen, die dich interessieren?

Claire Laude: Es geht mir oft um Übergänge – in der Natur, im Medium, im Raum. Ich baue verschiedene Installationen, aber nicht alles sieht der Betrachter in meinen Bildern. Und da kommt auch wieder mein architektonischer Ansatz ins Spiel – ich bin ja auch Architektin. Ich benötige immer sehr viel Zeit, die Installationen benötigen viel Zeit, und auch die Auswahl der Bilder benötigt Zeit. Ich arbeite daher Bild für Bild. Diese Bilder bringe ich dann in einen Zusammenhang, und manche Serien dauern dadurch Jahre. Es kann manchmal auch bis zu einem Monat dauern, bis ich überhaupt ein Bild habe. Der Prozess wird immer wichtiger für mich. Und ja, es ist der Prozess des Gedächtnisses, der Erinnerung, in der vieles meist übereinander liegt, was man entblättern und freischaufeln muss, um es zu entdecken oder wiederzuentdecken. Man sieht nicht gleich, was darunter liegt. Auf Französisch sagt man dazu auch sedimentation.

VTph: Ja, deine intensive Auseinandersetzung mit den verschiedenen Orten erkennt man auf jeden Fall. Deine Arbeit ist ganz konzentriert, ganz dicht. So wie auch das fotografische Bild manchmal Doppelbelichtungen oder Dreifachbelichtungen enthält, so schichtest du deine Materialien. Und der Betrachter trägt wieder Schicht für Schicht ab, wenn er das Darunterliegende sehen möchte.

Claire Laude: Genau. Auch das Zusammenspiel der Serien in verschiedenen Räumen und an verschiedenen Orten ist eine Art Schichtung. Die neue Arbeit, die in Kaliningrad entstanden ist, behandelt die deutsch-russische Geschichte. Es sind tatsächlich zwei Seelen in der Stadt, die beide auf ganz unterschiedlichen Gefühlen und Impressionen beruhen. Alles befindet sich immer noch in einem Zwischenstadium – ähnlich wie in Berlin. Die Spuren der deutschen Vergangenheit sind nicht mehr so stark da, aber trotzdem immer noch versteckt vorhanden. Die Geschichte ist überall präsent. Und sogar ich als Französin, als Außenstehende, kann das spüren. Ich hatte immer den Eindruck, es gibt noch so viel Unfertiges, so viel Improvisiertes, Zwischenstadien… Es gibt Formen, die sich wiederholen, Formen, die ich im Außen sehe und dann im Inneren der Räume in der jeweiligen Installation aufgreife. Ich versuche Architektur zu dekonstruieren, und diese an einem anderen Ort wieder aufzubauen – nur in einem anderen Kontext. Das Buchprojekt, welches ich schon in einem Dummy anreiße, wird meine ersten Skizzen, Fotografien und die vielseitigen Eindrücke zeigen, die ich mitgebracht habe. Einen großen Teil muss ich noch ordnen, aber vor allem soll auch das Interview mit dem Geisteswissenschaftler Prof. Dr. Wladimir Gilmanov, der über den Mythos der Stadt spricht, veröffentlicht werden. Der eine Teil von Königsberg wurde sogar ganz neu aufgebaut, aber nach alten Motiven. Er zeigt die Idylle der Stadt, gleicht aber einer Kulisse. Parallel hatte ich auch einige Städtepläne gesichtet, andere wiederum durfte ich gar nicht einsehen, man sagte mir, sie seien geheim. Vor Ort hatte man mir dann aber trotzdem angeboten, meine Installation in einer alten Kaserne aufzubauen.

VTph: Auf das Medium Fotografie hast du dich also nicht beschränkt?

Claire Laude: Nein, es gibt das Interview, die Schwarzweißaufnahmen und die Zeichnungen, die ein wichtiger Bestandteil meiner Arbeit sind, da ich den ganzen Set-Aufbau vorher skizziere. Ich zeige auch ein Video von meiner Fahrt durch die Straßen. Es ist Teil des Projektes. In meiner Arbeit springe ich immer zwischen den Welten, einerseits nehme ich die Realität auf und wahr, andererseits hat der Prozess der Umwandlung dann gar nichts mehr mit der Realität zu tun, sondern es geht nur noch um das Bild, welches am Ende entsteht. Ich defragmentiere, aber führe am Ende die Teile wieder zusammen. Ich nutze das Medium Fotografie und reize es aus, nur manchmal komme ich an eine Grenze. In der neuen Gruppenausstellung, die in Zusammenarbeit mit dem Künstlerhaus Ahrenshoop stattfindet, ging es zum Beispiel um eine Legende – ein Künstler, der auf mysteriöse Art und Weise verschwunden ist – und um all das, was sich um diese Legende rankt. Er floh wohl mit dem Fahrrad aus Kaliningrad, warum, weiß man nicht, aber er kam nie zu Hause an. Wie kann man das Verschwinden darstellen? Dieses Thema zieht sich wie ein roter Faden durch meine Arbeit.

 

Interview: Nadine Ethner, Januar 2018


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