Cindy Sherman

„Cindy Sherman – Works from the Olbricht Collection“

 

Die Andere

Als Thomas Olbricht, Sammler, Arzt und Kunstliebhaber, das erste mal die Arbeiten der Künstlerin Cindy Sherman in einer New Yorker Galerie sah, war es um ihn geschehen. Nichts, was er bis zu diesem Zeitpunkt gesehen hatte, kam nur annähernd an diese Kraft und Stärke der ausgestellten Fotografien heran: “Ich war schon auf dem Weg zurück Richtung Houston Street, als ein Blick durch die Scheiben von Metro Pictures, damals noch in der Greene Street, meine Neugier weckte. Die Fotos von Cindy Sherman waren groß, intensiv in ihrer Farbigkeit und äußerst geheimnisvoll. Nahaufnahmen von Gesichtern, manche menschlich, aber durch viel Schminke bedrohlich surreal anmutend, andere fratzenhafte Masken. Diese Arbeiten faszinierten mich.”, so beschreibt er heute diesen ersten Moment. Olbricht war sogleich angetan von den fotografischen Arbeiten und einer Frau, die er noch nicht kannte.

Thomas Olbricht zeigt in dieser Ausstellung “Cindy Sherman – Works from the Olbricht Collection” offenherzig eine einzigartige Zusammenstellung von 65 Werken aus verschiedenen Werkzyklen der Künstlerin. Was als Faszination am Anderen und am Unbekannten in nur einem Moment begann, überdauerte die Zeit und die Fotografien sind heute zu vertrauten Begleitern geworden. Dennoch, Cindy Sherman überrascht den Betrachter jedes Mal und das seit vielen Jahrzehnten und es ist immer wieder eine Notwendigkeit und auch eine Konfrontation mit sich selbst, in die Werkzyklen Shermans einzutauchen.

Die Maske

Cindy Sherman hat uns immer die Wahrheit gesagt. Über uns selbst. Sie hat uns den Spiegel vorgehalten und unsere Träume, Begierden, Abgründe und Schatten darin sehen lassen, gleichwohl unsere Lust am Schauen. Für ihre Arbeit nutzt sie absurde und sonderbare Requisiten, Masken und Prothesen.

Seit jeher gehören Verkleidungen und Masken unmittelbar zusammen und sind nicht zu trennen. Sie werden zu Mittlern zwischen zwei Welten. Verbinden Masken doch eine erkennbare und erfahrbare Wirklichkeit mit anderen Kräften und Energien, die oftmals außerhalb der Wahrnehmung liegen. Der Träger der Maske, ob Künstler oder Shamane, verstärkt durch das Tragen den Geist und die Kraft des Wesens, welches mit dieser Maske – die älteste gefundene Steinmaske ist ca. 9000 Jahre alt –  dargestellt werden soll.

So wie in rituellen Zeremonien schon am Aussehen der Maske sichtbar ist, ob oder welche Figuren beschworen werden sollen, so erkennen wir auch in Shermans Fotografien auf den ersten Blick, ob diese Maske uns eher belustigen oder erschrecken soll – oder gar beides. Allen Ritualen ist gemein, dass zeitgleich auch immer ein Publikum beteiligt ist. Beide bedingen einander.

Das Chamäleon

Wie ein roter Faden ziehen sich gesellschaftskritische Themen durch Shermans Werkzyklen. Oftmals ist es eine Frau, die sie meisterlich in ihren steroetypen Rollenbildern und selbstgestellten Fallen tragisch-komisch darstellt, immer einem Klischee entprechend oder manchmal sogar einem Idealbild.

Sherman befindet sich ständig in neuen Situationen und passt sich, einem Chamäleon gleich, den Charakteren und ihrer Umwelt lückenlos an. Sie stellt ausgedachte Szenen so weit nach, dass sie uns stark berühren und wir uns kaum mehr entziehen können – oder gar erschrocken abwenden. Ausgehend von den Schwarz-Weiß-Filmen der 50er Jahre bis hin zur minutiösen Beobachtung der Gegenwart spiegeln alle dargestellten Personen unsere eigenen Projektionen wider.

Fast haben wir Mitleid mit den Personen, vor allem mit jenen, bei denen Sherman die innere Verzweiflung ins Ironische treibt, dennoch ertappen wir uns dabei, die Gesichter mit Distanz und kuriosem Blick ständig und dauernd betrachten zu wollen. Opfer und Täterinnen, Heilige und Prostituierte, Figuren aus der Mitte oder vom Rande der Gesellschaft – die unerschöpflichen Rollen und die ebenso unerschöpfliche menschliche Psyche manifestiert Sherman im Bild und sie schont uns dabei nicht. Sherman schont aber auch sich selbst nicht. Das zeigt die Intensität und die Tiefe jeder einzelnen Arbeit. Alles ist bis ins kleinste Detail durchdacht und wird somit auf die Spitze getrieben. Es sind einzigarte Bilder und nichts wiederholt sich. Sherman geht konsequent durch jede Rolle hindurch, bewegt sich hinein und wieder heraus, spielt mit sich, mit uns, mit der Intention und überlässt beim Erschaffen ihrer Figuren nichts dem Zufall.

Das Ich

Cindy Sherman ist Dramaturgin und Schauspielerin unisono, sie nutzt die Maske als Persona. Wie im Theater der griechischen Antike tönt eine andere Identität hindurch. Sherman spielt mit den tausend Identitäten, sie spielt mit Fiktion und Wahrheit und mit verschiedenen psychischen Zuständen wie Ohnmacht und innere Zerissenheit, aber auch Lust und Begierde. Ohne Worte überlässt sie uns komplett dem Bild. In ihrem Wandlungsprozess schafft sie es, uns unsere Maske abzureißen, aber zeitgleich hält sie ihren Kern bedeckt. Nichts gibt sie von ihrer eigenen Persönlichkeit preis. Aber die Frage nach dieser intensiven Ausstellung lautet auch nicht: Wer ist Cindy Sherman wirklich? Die einzige Frage, die wir uns stellen sollten, lautet: Wer sind wir?

 

Nadine Ethner / Juli 2016


© all images by Cindy Sherman / Courtesy the artist, Metro Pictures New York and Sprüth Magers Berlin, London, Los Angeles /

A publication is published in conjuction with the exhibition at me Collectors Room Berlin; Editor: me Collectors Room Berlin/Stiftung Olbricht, Texts: Thomas Olbricht, Julia Rust, Sarah Sonderkamp