Anton Roland Laub

„Mobile Churches“

VTph: Anton, deine Fotoserie „Mobile Churches“ wird demnächst auf dem Format Festival in Großbritannien gezeigt. Seit dem Erscheinen des Fotobuchs und der Nominierung für den New Discovery Award beim Fotofestival Les Rencontres d’Arles findet die Arbeit internationale Beachtung. Du zeigst in dieser Serie hauptsächlich verschiedene Außenaufnahmen rumänisch-orthodoxer Kirchen, die den unter dem Ceaușescu-Regime gebauten Prachtalleen weichen mussten. Erzähl uns bitte mehr von dieser Serie.

Anton Roland Laub: Es war ein radikales Eingreifen. Wenn wir bedenken, dass es sich um einen atheistischen Staat handelte, die Bevölkerung am Existenzminimum lebte, zugleich für die Versetzung kein Aufwand gescheut wurde, erscheint dieses Versetzen der Kirchen auf Schienen ziemlich absurd. Sie wurden aus ihrem historischen Kontext herausgerissen, wobei zwei der Kirchen bei der Versetzung gedreht wurden, so dass die vorgeschriebene Ausrichtung gen Osten nicht mehr respektiert war. 

Das Projekt über die versetzten Kirchen hatte verschiedene Facetten und Arbeitstitel, ich habe mich dem Thema unterschiedlich angenähert und mit verschiedenen Möglichkeiten experimentiert, sodass ich schließlich vor einem riesigen Konvolut an Material saß. Einen ersten Teil zu diesem Projekt stellte ich 2015 in Bukarest aus. Ich wollte unbedingt zu Hause starten. Der Raum heißt atelier 35, er besitzt eine lange Tradition und seit den 70er Jahren ist er jungen Künstlern gewidmet. Noch vor dem Fotobuch „Mobile Churches“, welches  später beim Kehrer Verlag in Heidelberg erschienen ist, entstand zuerst ein Künstlerheft. Es befindet sich inzwischen in der Künstlerbuchsammlung der Staatlichen Museen zu Berlin. Später wurde der Fotobuch-Dummy für den Dummy Book Award von Les Rencontres d’Arles und auch Unseen Amsterdam nominiert, also ein Jahr vor dem New Discovery Award. 

Die Innenaufnahmen, die du in das Projekt integriert hast, zeigen einen Schutzraum voller Fresken, ganz so, als könnte man die Versetzung und Verdrehung der Kirchen für einen Moment vergessen, sobald man sich im Inneren der Kirche befindet?

Im Verhältnis zu anderen europäischen Metropolen sind die orthodoxen Kirchen in Rumänien eher klein und intim. Man findet profane Dinge, wie einen Warmwasserboiler neben einem Marienbild oder einen Feuerlöscher neben einem holzgeschnitzten Stuhl, der ausschließlich dem Patriarchen vorbehalten ist. Mich hat besonders dieser Kontrast zwischen sakralem Raum und profanem Ding interessiert, aber auch die Frage, warum überhaupt solch ein Aufwand für Sakralbauten unter einem atheistischen Regime betrieben wurde. 

Als ich die älteste Kirche, die Sankt-Nikolaus-Kirche des Klosters „Mihai Vodă“, betrat, war ich jedoch sehr schockiert, denn ich erkannte, dass auf einem lebensgroßen Fresko Marschall Antonescu abgebildet war. Er war ein Alliierter Hitlers und verantwortlich für die Ermordung von mehr als 300 000 Juden in Rumänien laut Wiesel Foundation. Im krassen Gegensatz zur Existenz des Freskos in der Mihai Vodă-Kirche führt eine Informationstafel in der Synagoge Mare Poloneză Antonescu als Naziverbrecher auf. Während des Arbeitsprozesses bin ich also auf verschiedene Widersprüche gestoßen. Bis heute wurde der Holocaust in Rumänien kaum aufgearbeitet. 

In dem Buch und auch in den Ausstellungen stellst du deiner eigenen Arbeit bewusst Archivaufnahmen gegenüber, die hauptsächlich aus dem Archiv vom Ingenieur Eugeniu Iordăchescu entstammen. Wie wichtig war es dir, gleichzeitig einen historischen Bezug zu schaffen?

In den 80er Jahren, zusammen mit der Ingenieurin Gabriela Pop, war Ingenieur Eugeniu Iordăchescu vom Ceaușescu-Regime beauftragt worden, die Versetzung der Kirchen zu realisieren. Es fiel mir anfangs schwer, ihn zu kontaktieren, da auch meine eigene Familie unter dem Regime gelitten hatte und ein Elternhaus unter den sogenannten „Systematisierungsmaßnahmen“ der Stadt Bukarest abgerissen worden war und daraufhin mein Großvater einen Schlaganfall erlitt. Aber die Herausgeberin und Kuratorin Sonia Voss überzeugte mich schließlich, ihn zu treffen. So habe ich auch sein Privatarchiv einsehen können. Unter der Ceaușescu-Diktatur wurde ja ein Drittel der Altstadt abgerissen. Das ganze Land befand sich unter der „Systematisierung“: Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht, Satellitenstädte hochgezogen – denn die Bauern sollten zu Stadtarbeitern werden und in der Industrie sowie in Fabriken arbeiten. Es wurden zwanzig Kirchen abgerissen, aber auch drei Synagogen. Sakralbauten sollten aus dem Stadtbild gelöscht werden. Manche, die nicht im Weg standen, aber doch von der Straße aus sichtbar waren, wurden von Plattenbauten komplett verdeckt, wie die Polnische Synagoge.

Gab es damals einen rumänischen Denkmalschutz oder musste tatsächlich erst die UNESCO darauf aufmerksam gemacht werden?

Erst auf Drängen der intellektuellen Elite in Bukarest und in der Diaspora schaltete sich die UNESCO ein, wodurch einige Kirchen und Synagogen verschont blieben. Aber man fragt sich auch hier, zu welchem Preis. Manche Kirchen wurden buchstäblich entwurzelt, aus dem Klosterkontext heraus gerissen und nur als Karkasse versetzt und sogar gedreht, sodass die Ausrichtung des Altars gen Osten nicht mehr gewährleistet war.

In deinen Bildern sind Ebenen von verschiedenen zeitlichen Epochen sichtbar. Schichten und Bildebenen mischen sich und ergeben ein Konglomerat. War es die Mischung von urbanen Zeichen, die sich im Stadtraum übereinander lagern, die dich hier fotografisch reizten?

Einerseits sehen wir die Kirchen, die aus dem Stadtbild verdrängt wurden, sich aber heute restauriert von den inzwischen alten Plattenbauten abheben, die häufig selbst verdeckt werden von Werbebannern. Nicht leicht war die Identifizierung der alten Orte der Kirchen. Die Archive in Bukarest sind häufig in desolatem Zustand und manche Viertel haben sich in den 1980er Jahren derart verändert, dass auch alte Straßenverläufe schwer nachvollziehbar sind. Auch Straßennamen haben sich in den 80er Jahren verändert und wiederum nach 1989, nach der Wende. Viele der ursprünglichen Bewohner wurden umgesiedelt, die Erinnerungen wurden ausgelöscht. Diese Erinnerungsgeschichten, die sich mit dem städtischen Bild verbinden, haben mich interessiert. So habe ich mich über einen Zeitraum von mehreren Jahren dem Thema angenähert und mit unterschiedlichen Verfahren gearbeitet. Da die Kirchen meistens in engen Hinterhöfen stehen, und um Perspektivverzerrungen zu vermeiden, habe ich sie jeweils zur Hälfte fotografiert – ich habe in der Zeit oft an Gordon Matta-Clark gedacht – um sie anschließend wieder digital zusammenzufügen.

Wie gehen die Rumänen mit ihrer eigenen Geschichte um?

Teils wird man als suspekt angesehen, wenn man Zugang zu Informationen haben möchte und viele Bibliotheken sind mangelhaft ausgestattet. Eigentlich wollen sich viele öffentliche Stellen selbst nicht richtig mit ihrer eigenen Geschichte auseinandersetzen. Es ist absurd – aber so funktioniert das Land Rumänien.

Vermisst du Bukarest?

Manchmal schon. Aber mit meiner Partnerin Lotte Laub bin ich relativ oft dort. Mit ihr bin ich in ständiger Diskussion über meine Arbeiten und sie ist auch häufig dabei, wenn ich dort fotografiere. Auch mein Vater ist noch dort und ich habe viele Freunde und Verwandte, die noch in Bukarest leben. Mein Vater hat mir viel mitgegeben. Er hat wirklich viel gesehen in dieser Stadt in all den Jahrzehnten.

Kommen wir zurück zu den Ausstellungsformaten. Für welche Präsentationsformen entscheidest du dich?

Die Ausstellungen in Paris in der Kirche Saint Germain des Prés und in Berlin in der Kapelle der Versöhnung an der Gedenkstätte Berliner Mauer wurden beide von Sonia Voss kuratiert und wir haben uns gemeinsam entschieden, dass wir auf die jeweiligen architektonischen und historischen Dimensionen dieser Räume eingehen wollten. In Anlehnung an die Tradition der Fenstermalerei haben wir uns in Paris für Leuchtkästen entschieden, in Berlin wiederum anlehnend an die orthodoxe Ikonenmalerei für Holzuntergründe. Du kennst ja die außergewöhnliche Architektur der Kapelle der Versöhnung in Berlin und auch ihre Geschichte. Sie wurde nach der Wende aus dem Schutt der ehemaligen Kirche der Versöhnung gebaut. Die Kirche stand zu DDR-Zeiten auf dem Mauerstreifen und war in den 1980er Jahren – also zu derselben Zeit wie die Kirchen in Bukarest – unter der SED-Diktatur gesprengt worden.

Faszinieren dich weiterhin Orte der Macht, und was folgt auf „Mobile Churches“?

Zeichen der Macht sind in vielen Metropolen ähnlich. Mich interessieren besonders Ansätze der De-Kodierung von Machtsystemen, und, wie in „Mobile Churches“, die Gedächtnisfunktion, die sich mit bestimmten Orten verbindet, also Erinnerungstraditionen und -techniken. Auch in meinem aktuellen Projekt spielen sie eine Rolle. Für mein neues Projekt beziehe ich unser Familienarchiv in meine künstlerische Arbeit mit ein. 

 

Interview: Nadine Ethner, Februar 2019


© all images Anton Roland Laub www.antonlaub.com / Archive: Courtesy Dr. Ing. Eugeniu Iordăchescu / Publication: „Mobile Churches“, Texts by Sonia Voss and Lotte Laub, Designed by Minami Shimakage, Kehrer Verlag www.kehrerverlag.com