Andreas Mühe

Pathos als Distanz

VTph: Andreas, deine Ausstellung in den Deichtorhallen in Hamburg zeigt einen Querschnitt durch dein Œuvre der letzten Jahre, sie spannt einen Bogen und integriert viele deiner Fotografien, die jetzt schon, man könnte sagen, zu Ikonen geworden sind, wie die Portraits von Angela Merkel und Helmut Kohl, welche jeweils ganz oben thronen und in Distanz zu allen anderen Fotografien hängen. Gleichzeitig ist aber ein großer Teil der Ausstellung als Petersburger Hängung angeordnet. Alles darf hier parallel stattfinden. Warum hast du dich am Ende für diese Anordnung entschieden? Wolltest du die Chronologie außen vorlassen?

Andreas Mühe: Meine Lebensuhr tickt in dieser Hängung. Ein Beziehungs- und Ereignisgeflecht, das sich durch meine Biografie zieht.

VTph: Deine Themen sind immer im Umfeld von Macht, Machtausübung und Machtverhältnissen zu finden. Sind es die großen Fragen, die dich antreiben, oder dürfen es auch mal leise Themen sein, die sich als Ideen in deiner Arbeit durchsetzen?

Andreas Mühe: Ich komme aus einer lauten Familie, in der ich mich durchsetzen wollte. Wenn ich mich mit meinem Bruder Konrad Mühe vergleiche und seinen Videoinstallationen, wird mir das immer wieder sehr deutlich, welchen anderen Weg er eingeschlagen hat und was uns trotzdem ähnlich sein lässt.

VTph: Du sprichst oft von Erhabenheit und Mythos. Ich habe den Eindruck, Du möchtest den Mythos dechiffrieren, entblättern und am Ende „nackt“ zeigen – und das oftmals sogar wortwörtlich. Sind die Serien dann auch als Teilaspekt der Geschichtsschreibung- und Neuinterpretation zu sehen?

Andreas Mühe: Mich interessieren Wege und Verfahren wie Aby Warburgs Bilderatlas Mnemosyne und natürlich seine Pathosformel. Die Dialektik von Pathos und Formel, von Ausdrucksintensität und Formelhaftigkeit beschäftigt mich.

VTph: „Pathos als Distanz“ impliziert schon im Titel eine Überhöhung und Überzeichnung. Nutzt du dieses Stilmittel, weil es dich am stärksten zu deinen inneren Bildern bringt, dahin, wo das Bild eigentlich schon vorhanden ist, jedoch nur noch wartet, einen Weg in die Öffentlichkeit über deine Kamera zu finden?

Andreas Mūhe: Der Titel der Ausstellung „Pathos als Distanz“ ist ein Versuch, das Verfahren meiner Arbeit in einer Kurzform zu beschreiben. Beide Begriffe sind möglicherweise gleichberechtigte Teile meiner Arbeiten, die ohne einander zu durchdringen, nicht existieren könnten.

VTph: Wie wählst du am Ende das finale Bild, welches Einlaß in eine Ausstellung und dann später auch in das zur Ausstellung publizierte Buch findet? Gab es jeweils immer enge Rücksprachen mit dem Kurator Ingo Taubhorn in Hamburg oder mit Klaus Kehrer in Heidelberg?

Andreas Mühe: In Rostock habe ich in der Kunsthalle mit Markus Lüpertz zusammen ausgestellt („Ancien Régime“). Da habe ich viel gelernt und vielleicht noch mehr über das Bilderhängen von F.C. Gundlach. Ich befrage Kenner und Experten und berate mich, sowohl bei den Kuratoren als auch bei den Gestaltern von Buch und Katalog. Letztendlich entscheidet mein Pulsschlag. Für das Buch zur Ausstellung „Pathos als Distanz“ gab es eine „Doppeldramaturgie“: die Texte von Florian Illies und meine Bilder.

VTph: Eine letzte Frage: Welchen Stellenwert haben für dich abstrakte Bilder, minimalistische Fotografien, die sich erst einmal dem schnellen Verständnis und der Narration entziehen? Oder besser: Interessiert dich Abstraktion und Minimalismus in deiner Arbeit?

Andreas Mühe: Meine Bilder sind abstrakt und minimalistisch. Nichts in den Räumen ist überflüssig. Und die Situation ist nicht narrativ. Die Wiedergabe von Geschichten ist nicht mein Thema. Ich erzähle keine Geschichten.

 

Interview: Nadine Ethner / 07.08.2017


Andreas Mühe „Pathos als Distanz“/ Kehrer Verlag  www.kehrerverlag.com

© all images by Andreas Mühe / Installation views & Portrait by Florian Büttner / www.florianbuettner.com