Andréas Lang

„Meine Reisen, meine Themen sind immer auch eine Reise zu mir selbst. Genauso sehe ich auch die Reise nach Afrika auf den Spuren meines Urgroßvaters, hier wird das Persönliche kollektiv. Der Kolonialismus betrifft uns alle und auch die mittelalterlichen Kreuzzüge betreffen uns alle – meine Auseinandersetzung hat ganz klar auch mit meinem eigenen Kulturkreis zu tun.“

Andréas Lang

VTph: Andréas, du hattest vor diesen Ausstellungen in Berlin, die du fast zeitgleich bewältigt hast, ein Atelierstipendium im Auswärtigen Amt?

Andréas Lang: Ja, das war sehr gut. Es war wichtig, dort zu arbeiten, obwohl das Auswärtige Amt als Ministerium natürlich ein sehr ungewöhnlicher Ort für ein Künstleratelier ist – aber es war perfekt und es gab mir so die Möglichkeit, mich auf die Ausstellungen zu konzentrieren und mir für wichtige Recherchen Zeit zu nehmen. Das Atelier lag über den Gängen und Büros des Ministeriums und der Himmel war über mir. Ich hatte für einige Monate einen unglaublichen Blick über ganz Berlin.

VTph: Einige Fernsehteams haben dich sogar besucht und es gab viele Presseanfragen. ARTE war da, RBB, Deutsche Welle, Deutschlandradio Kultur…

Andréas Lang:  Über diese große Resonanz habe ich mich natürlich sehr gefreut. Meine Arbeiten beschäftigen sich unter anderem auch mit einigen sehr schwierigen Themen: Kolonialismus, mit den mittelalterlichen Kreuzzügen und dem Nahen Osten, Europa.

VTph: Deine Serie “ECLIPSE (a selection)”, die gerade in der Galerie Podbielski Contemporary in Berlin zu sehen ist, zeigt ja vor allem Orte der Kreuzzüge und des frühen Christentums in Jerusalem und Palästina. Warum bist du gerade in diese Länder gereist?

Andréas Lang:  Im Nahen Osten liegt alles sehr nahe beeinander: Orte an denen gekämpft wurde, sind direkt neben Heiligtümern, an denen gebetet wird, dann wiederum gibt es dort andere Orte voller Touristen. All diese Orte haben eine Geschichte, die weit zurückreicht und das ist meistens offen sichtbar – die Gegenwart überlagert sich mit der Vergangenheit, das Reale mit dem Imaginären. Diese verschiedenen Schichten in der Landschaft mache ich in meiner Arbeit sichtbar. Ich finde es sehr wichtig, dass wir uns mit diesen Themen befassen. Im Westen und vor allem in den USA wird oft vergessen, dass das Christentum einen orientalischen Ursprung hat, eng verbunden mit den Menschen im Nahen Osten und ihrer Kultur. Wenn man zum Beispiel einen Gottesdienst der Kopten in Ägypten besucht, ist das eine sehr orientalische Angelegenheit.

VTph: Die Kopten sind die Urchristen in Ägypten, Äthiopien, Eritrea…

Andréas Lang:  Genau. Die Kopten besitzen mit die älteste christliche Tradition und diese Riten und Rituale hielten sich dort unverfälscht über Jahrhunderte, gar Jahrtausende. Während einer Messe in Kairo trugen die Priester eine Art Bundeslade durch den Gebetsraum, sie liefen dabei aber rückwärts. Gleichzeitig begleiteten die Frauen diese Zeremonie mit einer Art hohem Gesang, wie man ihn von Beduinen kennt, das wiederum alternierte mit den Gesängen der Männer. Wir vergessen hier in Europas oftmals, dass in Ägypten, Syrien oder im Libanon mindestens zehn Prozent der Bevölkerung Christen sind. Es ist eine unfassbare Tragödie, die im Moment passiert – diese Gräben, die sich zwischen den Menschen und Religionen im Nahen Osten auftun und vor allem, wie Religion politisch missbraucht wird.

VTph: Hatten all deine Projekte Berührungspunkte untereinander oder warum waren deine Reisen zu den religiösen Orten im Orient so wichtig für dich?

Andréas Lang:  Die Beschäftigung mit dem Christentum und dem Orient war für mich eine logische Folge auf mein vorheriges Projekt, in dem es um Landschaften in Europa ging, im Zwischenbereich von Geschichte und Mythos. Das fing während meiner Zeit in Paris an und vertiefte sich mit meiner Rückkehr nach Deutschland. Das kam damit auch einer Wiederentdeckung meiner Heimatregion gleich und Erinnerungsbilder meiner Kindheit wurden wieder wach.

VTph: Du bist an der Grenze zu Frankreich aufgewachsen, in der Pfalz?

Andréas Lang:  Genau in Zweibrücken, der Pfälzer Wald ist auch nicht weit. Das ist ja eine alte Kulturlandschaft, mit Burgruinen auf bewaldeten Hügeln und dazwischen anthropomorphe Felsen, wie in den Landschaften von Max Ernst oder der deutschen Romantik. Parallel dazu findest du aber auch gesprengte Weltkriegsbunker im Wald. Ich habe lange in Paris gelebt und bin sehr oft diese Strecke nach Paris gefahren: Man fährt vorbei an Geschichte, an unzähligen Schlachtfeldern – eines nach dem anderen – der Dreißigjährige Krieg, der die Pfalz verwüstete, die Revolutionskriege, Napoleon, 1870/71 und schliesslich der Erste und Zweite Weltkrieg. Ich denke meine Heimatgegend, die von soviel Geschichte heimgesucht wurde, hat meinen Blick auf das Thema Landschaft sehr geprägt.

VTph: Siehst du dich auf deinen Reisen in der Rolle des Beobachters?

Andréas Lang:  Ich möchte vor allem nicht werten. Beobachter weiss ich nicht, das klingt nach Journalismus. Das ist aber gar nicht mein Ansatz. Ich bin vielleicht eher eine Art visueller Archäologe. Man sollte die Dinge immer im Zusammenhang betrachten und nie einen Teil der Geschichte herausnehmen und getrennt betrachten. Mein letztes Projekt ist eine Spurensuche zu meinem Urgroßvater und dem Kolonialismus in Zentralafrika. Als ich gerade mit dem Thema der Kreuzzüge fertig war, fand ich auf dem Dachboden meiner Mutter eine Kiste mit Fotografien und das Tagebuch  meines Urgroßvaters, der vor ca. 100 Jahren als Soldat in Kamerun und Kongo war. Er war auch Teil einer deutsch-französischen Grenzexpedition, um dort Französisch-Kongo in Besitz zu nehmen und zu vermessen. Der Fund war eine glückliche Fügung im Hinblick auf meine künstlerische Auseinandersetzung mit diesem Thema und es wurde sehr schnell klar, dass dies auch eine neue Serie wird.

VTph: Welche Ansatzpunkte innerhalb des Themas der territorialen Besetzung waren dabei für dich wichtig?

Andréas Lang:  Interessant für mich war nachzufragen, was macht das mit den Menschen, wenn Territorien einfach aufgeteilt und besetzt werden? Man spricht den Menschen vor Ort einfach ab, dass sie eine ganz andere Sicht auf die Dinge haben, als wir es vielleicht haben. In dem Vertrag von 1911, den ich gründlich recherchiert habe, hat einer der Unterzeichner einfach mit dem Stift die neue Grenze in die Karte eingezeichnet. Das ist purer Imperialismus gepaart mit einer maßlosen Hybris.

VTph: Wenn das dein roter Faden in deiner Arbeit ist, gibt es dann gleichzeitig andere Themen, die wie selbstverständlich herausfallen? Ich habe den Eindruck, du gehst lieber tiefer in die Materie hinein? Suchst du vor Ort auch künstlerische Kooperationen oder wie entwickelst du die Projekte weiter?

Andréas Lang: Ja, ich befasse mich lieber mit Dingen, die mit mir und meinen Wurzeln zu tun haben. Meine Reisen, meine Themen sind immer auch eine Reise zu mir selbst. Genauso sehe ich auch die Reise nach Afrika auf den Spuren meines Urgroßvaters, hier wird das Persönliche kollektiv. Der Kolonialismus betrifft uns alle und auch die mittelalterlichen Kreuzzüge betreffen uns alle – meine Auseinandersetzung hat ganz klar auch mit meinem eigenen Kulturkreis zu tun. Mir wird oft auch gesagt, dass meine Arbeiten Erinnerungen und eigene Bilder des Betrachters zum Leben erwecken. Das ist eine tolle Bestätigung. Und in meiner Arbeit habe ich oft das Gefühl, die Themen und die Bilder finden mich. Ich denke, das hat vor allem viel mit Hingabe zu tun. In Kamerun selbst gab es vor Ort auch eine künstlerische Kooperation mit dem Bildhauer Dieudonné Fokou. Mit ihm zusammen hatte ich eine Arbeit konzipiert, die sich mit der Militärgewalt in Kamerun auseinandersetzt.

VTph: Gerade habe ich dein Video aus der Ausstellung „KAMERUN UND KONGO“ im Deutschen Historischen Museum im Kopf. Du filmst eine Brücke im Dschungel während es regnet und stürmt. In diesem Moment gehst du eben nicht zurück und suchst Schutz – sondern du baust die Kamera auf und filmst. Es ist eine wunderschöne Aufnahme: die Kamera schaut direkt auf die Brücke, die sich im starken Winde bewegt, weil es eine Hängebrücke ist und auch du selbst bewegst dich, weil du kein Stativ hast. Es gibt diese doppelte Bewegung darin. Ich stand wirklich in einem meditativen Zustand zehn Minuten vor diesem Video und habe mir diese Brücke angesehen. Fantastisch!

Andréas Lang: Danke. Diese Brücke wurde ja von den deutschen Kolonialisten gebaut. Sie wirkt wie ein Phantom in dieser äquatorianischen Dschungellandschaft. Ich wusste, dass es diese Brücke gab, aber ich war mir nicht sicher, ob auch wirklich eine Arbeit entstehen würde. Ich kam dort an, hörte am Horizont dieses Gewitter anrollen und dachte nur, das könnte interessant werden. Ein “tableau vivant” im wahrsten Sinne des Wortes.

 

Interview: Nadine Ethner / 22.11.2016


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