Lambert

“Ich habe lange darüber nachgedacht, ob und wie es Sinn machen könnte, mich wieder auf die Bühne zu stellen. Und eigentlich möchte ich das nur noch, wenn ich nicht die Aufgabe habe, ich selbst sein zu müssen oder wahnsinnig authentisch sein zu müssen. Sondern wenn ich die Freiheit habe, auch anders sein zu dürfen, jemand, der auch Fehler machen darf, die ich mir vielleicht selber nicht verzeihen würde.”

Lambert

VTph: Dein Projekt Lambert ist sehr visuell, hier verbindest du mehrere Elemente: Einerseits die emotionale Wahrnehmung der Umwelt sowie ein starkes Naturempfinden, welches du in deiner Musik verankerst und es gibt skandinavische Einflüsse bei dir, sie kommen aus einer eigenen Tiefe heraus und sind sehr kraftvoll.

Lambert: Lambert ist auch ein visuelles Projekt! Die Ursprungsideen von Lambert, die gesamte Bilderwelt sowie die Videos, sind jedoch alle auf Sardinien entstanden, weil auch die Maske ursprünglich von dort ist. Wir waren natürlich neugierig und wollten wissen, wie die Menschen darauf reagieren. Auf Sardinien haben wir auch die Idee entwickelt, auf Oberflächen zu spielen – synchron zur Musik. Am Anfang wollten wir ein schönes Piano in die Natur stellen, aber das war unmöglich. Daher haben wir aus einer Not heraus entschieden, mit der Kamera einfach zu experimentieren und wir haben dabei gemerkt, dass man die Idee doch gut umsetzen kann. Und dies ist letztendlich ein Thema, welches wir bis heute immer aufgreifen.

VTph: Du spielst mit deinen Händen im Kornfeld, ohne dass das Klavier sichtbar ist…

Lambert: … genau, denn die Idee wurde ja dem klassischen Musikvideo entnommen. Ich selbst bin aus einer Generation, die durch MTV geprägt wurde und da ist es auch so! Die Leute singen Playback an den merkwürdigsten Orten und mit den sonderbarsten Gesten und trotzdem schaut man sich das  gerne an. Und gerade im akustischen Zusammenhang wird das auf der visuellen Ebene überhaupt nicht gemacht. Meistens wird der Konzertsaal gefilmt oder ähnliches. Wir sind da fast die einzigen, die die Idee des Musikvideos gerade in diesem Bereich verfolgen.

VTph: Hast du selbst einen klassischen Background?

Lambert: Ja, ich hatte auch Klassik in Holland studiert. Im Hauptfach hatte ich allerdings Jazz. Das war dann aber doch relativ traditionell. Insgesamt war die Akademie keine tolle Zeit. In diesem akademischen Umfeld habe ich mich einfach nicht wohl gefühlt. Ich hatte jedenfalls nicht das Gefühl, dass ich da die Förderung bekommen habe, die mir entsprochen hätte. Bis auf das im Nebenfach studierte klassische Klavier. Das konnte ich akzeptieren. Ich hatte früher viel Chopin gehört und das war dann sogar auch das, was ich im Studium sehr gerne gespielt habe. Seine Kompositionen klingen natürlich toll – aber vor allem habe ich das Gefühl, er weiß auch, wo die Noten am besten klingen und er mag es auch gerne bequem! Auf jeden Fall bei den einfacheren Stücken. Es gibt ja auch sehr schwierige Kompositionen von ihm. Teilweise merkt man bei ihm, dass er ein ganz physisches Empfinden besitzt, wie die Finger schön und natürlich auf den Tasten landen und sie liegen sogar manchmal auf der Klaviatur – das fand ich sehr faszinierend. Alles andere, zu improvisieren, zu lernen, sich den Regeln der Akademie zu ergeben, war ziemlich albern.

VTph: Das finde ich interessant, dass du das sagst. Ich selbst hatte zum Teil meine Probleme mit der deutschen Akademie. Ich finde das akademische System ist oft zu hierarchisch und zu fest. Den einzigen Weg, den man als Künstler hat, ist, sich von den ganzen Strukturen zu befreien, um dann seiner eigenen inneren Stimme folgen zu können. Am Anfang geht da so viel Kraft und Energie verloren, aber vielleicht macht das gerade stark.

Lambert: Nein, das hat mich nicht stark gemacht. Mir wurde im Studium immer gesagt, ich darf keine eigenen Stücke schreiben, ich muss erst dieses und jenes lernen und meine Finger bewegen sich nicht richtig und so weiter… Der Improvisations- und Experimentiergedanke ist in dieser Zeit so sehr in den Hintergrund gerückt. All das hatte mich damals eher demotiviert. Nach dem Studium hatte ich wirklich nur ein bisschen gespielt, aber dann kam eine lange Pause. Ich wollte einfach nicht mehr spielen. Es war wirklich reiner Zufall, dass ich wieder zum Klavier gefunden habe. Denn nach dem Studium war es doch relativ schwer für mich zu erkennen, dass ich nun so viel Zeit mit dem Klavierspiel verbracht habe und trotzdem will mich die Gesellschaft damit nicht! Es reichte einfach nicht, dass ich davon hätte leben können oder dass sich Leute dafür interessieren würden. Und das, obwohl ich ein sehr großes Selbstbewusstsein habe! Früher habe ich mich auch immer für genial gehalten. Und dann kann das natürlich auch mal ok sein, so zu fallen, aber es war schon ziemlich hart zu erkennen, dass ich zwar gut Klavier spielen konnte, aber es interessierte niemanden. Und die Erkenntnis, dass es dann ganz schön schwer ist, nach dem Studium damit über die zu Runden zu kommen, das war eine bittere Erfahrung. Da geht ja dann auch die Leichtigkeit verloren, die man hat, weil es wirklich wunderschön ist, Musik zusammen zu machen. Ich habe die Musik dann tatsächlich sein lassen. Es war eine düstere und harte Zeit.

VTph: Weil du etwas aufgegeben hattest, was auch zu dir gehört?

Lambert: Ja. In jener Zeit habe ich natürlich auch andere Sachen probiert: Songwriting, Studiogeschichten … Aber all das funktionierte nicht so richtig. In meiner Wohnung gab es zwar ein Klavier, das war aber vom Ton und vom Klang her der absolute Fehlkauf. Ich konnte es einfach nicht zum Klingen bringen. Irgendwann nachts kam ein Freund vorbei und sagte: “Los, lass uns doch mal spielen!” Also spannte ich Filz zwischen die Saiten – wegen der Nachbarn – und plötzlich merkte ich, dass es doch ganz gut mit diesem Filzmoderator klingt. Das war dann der Auslöser. Diesen Filz ließ ich dann einfach dazwischen und so habe ich angefangen hin und wieder eigene Stücke darauf zu spielen. Ich wollte vor allem wieder etwas Frieden finden mit diesem Instrument. Diese Kompositionen hörte später auch ein anderer Freund und er bestärkte mich darin, wieder zu spielen, aber ich wollte einfach nicht mehr auf die Bühne! Ich war wirklich beschämt von meinem Misserfolg. Andererseits reizte es mich dann doch wieder. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob und wie es Sinn machen könnte, sich wieder auf die Bühne zu stellen. Und eigentlich möchte ich das nur noch, wenn ich nicht die Aufgabe habe, ich selbst sein zu müssen oder wahnsinnig authentisch sein zu müssen. Sondern wenn ich die Freiheit habe, auch anders sein zu dürfen, jemand, der auch Fehler machen darf, die ich mir vielleicht selber nicht verzeihen würde.

VTph: Bist du ein Perfektionist?

Lambert: Nein, das bin ich nicht. Perfektion halte ich auch für Quatsch. Wenn du perfekt sein willst, dann wirst du nie fertig mit dem Stück. Ich bin da auch geprägt von Improvisation und Improvisation ist nie perfekt. Gerade der Weg zwischen Idee und Endergebnis ist ja genau hier der möglichst kürzeste. Das ist auch das, was ich immer noch habe – auch in der Produktion. Ich versuche schon von dem Zeitpunkt der Idee bis hin zur Improvisation den kürzesten Weg zu finden, sonst verliere ich den Bezug zu der Idee. Deswegen: Perfektionistisch bin ich nicht, aber wenn ich Klaviermusik mache, habe ich oft das Gefühl, es wird auch von mir verlangt, meine Gefühle und mein Innerstes auf die 88 Tasten zu transkribieren. Das gesamte Marketing funktioniert nur über dich und deine Person, du musst viel von dir hergeben, dich entkleiden und sagen, was du für ein Künstler bist. Und dass du einen wahnsinnigen Bezug zu dem hast, was du gerade machst. Das habe ich vielleicht auch, aber das will ich gar nicht so darstellen. Ich möchte manchmal auch einen ganz emotionslosen Bezug zu meinem Stück haben. Ich habe dafür nun einen Ausweg gefunden. Ich mache es nur, wenn ich jemanden erschaffe, der das für mich übernimmt. Dabei wollte ich mich auch ein bisschen verstecken. Auf der Bühne bleibt erst einmal keine andere Möglichkeit, als sich eine Maske aufzusetzen. Mit der Maske kann ich die Bühne auch wieder akzeptieren.

VTph: Wolltest du damit dem Feedback ausweichen, weil das sonst sofort wieder mit deiner Person verknüpft wird?

Lambert: Ja. Ich habe dann die Möglichkeit zu sagen, die Kritiker lasse ich mal sein und ich nehme es mir nicht so sehr zu Herzen. Tatsächlich kann ich mit dieser Distanz auch ein bisschen abschalten. Es ist natürlich ein Soloprojekt und hier geht es sowieso die ganze Zeit nur um mich. Aber die Maske gibt mir dann schon die Möglichkeit – dadurch, dass ich in eine Rolle hineinschlüpfe – zu sagen: Jetzt habe ich Feierabend! Die schauspielerische Komponente und die Rolle an sich hatten mich natürlich auch interessiert. Denn dieser Gedanke an den Authentizitätszwang, den das Publikum immer abverlangt, der ist ja total absurd. Wenn ich wirklich darüber nachdenke: Wie gehe ich als Künstler auf die Bühne, wie stelle ich mich dar und wie will ich wahrgenommen werden – all diese Gedanken sind das Gegenteil von Authentizität. Allein dadurch setze ich mir schon eine Maske auf. Man ist in dem Moment ja nicht derjenige, der sich morgens die Zähne putzt und sich einen Kaffee kocht. Man ist ja immer nur ein Teil dessen. Ich will ja auch nicht, dass das Publikum meine cholerischen Anfälle mitbekommt oder andere Seiten, die ich in mir trage. Ich möchte auch nur, dass das Publikum die schönen, emotionalen oder lustigen Seiten sieht. Und jedes Mal muss trotzdem ein Künstler darüber nachdenken, wie er sein “Ich” am besten verkauft! Das ist absurd. Darauf hatte ich überhaupt keine Lust. Aus diesem Grund habe ich mir gesagt: Ok, wenn es sowieso schon so ist, dann kann ich auch so ehrlich sein und mir wirklich eine Maske aufsetzen. Und diese Entscheidung hatte mich im Endeffekt zurück zum Klavier gebracht und zurück auf die Bühne. Mittlerweile denke ich natürlich auch hin und wieder darüber nach, die Maske wieder sein zu lassen, aber im Moment fühle ich mich damit sehr wohl und sehr sicher dahinter. Deshalb werde ich auch erst einmal Lambert bleiben – auf der Bühne.

VTph: Es gibt natürlich immer Zyklen und man merkt auch meistens selbst, wann so ein Zyklus zu Ende ist…

Lambert: Ich wechsle jetzt das Label nach England. Dieser Wechsel hatte sich dann doch sehr gestreckt, sodass mein neues Album erst im Januar 2017 erscheinen wird, obwohl es als drittes Album schon im Januar 2016 fertig war. England ist auf alle Fälle ein neuer Schritt. Zuvor war ich bei einem kleineren Label in Berlin, die sehr liebevoll zu mir waren und die Zusammenarbeit hatte mir unglaublich viel gebracht. Aber es ist jetzt auch an der Zeit, wieder etwas Neues zu entdecken.

VTph: Würdest du dich jetzt für andere Stücke auf diesem Album entscheiden oder die Stücke anders arrangieren?

Lambert: Nein, das würde ich nicht. Am Ende war es gut und wichtig, dass wir viel Zeit für dieses Album hatten. Und es ist auch gleichzeitig ein Projekt mit einer Künstlerin, die parallel jedes Stück visuell aufbereitet. Es geht um den romantischen Aspekt einer Apokalypse. Ich frage mich seit meiner Kindheit, warum ich mir immer diese apokalyptischen Filme anschaue und was ich an diesen Filmen so faszinierend finde – weil es da immer die gleiche Situation gibt: Die Gesellschaft funktioniert nicht mehr, aber kleinere Strukturen funktionieren auf einmal besser und das legt meines Erachtens eine sehr romantische Sicht auf das, wie es eventuell auch sein könnte, wie bestimmte Dinge – auch zwischenmenschliche – auf einmal besser funktionieren könnten, wenn wir kurz vor dem Abgrund stehen und nichts mehr funktioniert…

VTph: Bei einer Zusammenarbeit ist es ja auch oft so, dass man sich vorher ein bisschen begleitet, bevor man zusammen arbeitet, um sich besser kennenzulernen. Wählst du dabei auch immer selbst aus, mit wem du zusammenarbeiten möchtest?

Lambert: Ja, natürlich, wie soll es sonst gehen? Du möchtest dir ja auch keinen unterjubeln lassen. Wir Musiker kannten uns alle schon vorher, klar. Wir waren alle zusammen auf Tour und hatten damals in einer Band gespielt. Und zu jener Zeit ist auch Lambert langsam gereift. Aber wenn wir unterwegs sind, haben wir es ja auch immer wieder mit Veranstaltern oder Technikern zu tun, die wir am liebsten komplett austauschen würden. Und wenn ich es wählen kann, mit wem ich zusammen spielen oder zusammen arbeiten möchte, dann wähle ich natürlich auch! Und Management und Booking basieren sowieso nur auf Vertrauensbasis. Und das sind dann auch Leute, mit denen ich klarkommen sollte.

VTph: Es gibt auch viele Künstler, Pianisten, die allein auf der Bühne spielen, wie Keith Jarrett.

Lambert: Ja, seine Arbeiten mag ich mittlerweile sehr. Seine früheren Trioaufnahmen finde ich sehr gut, aber ich mochte nie das Köln Concert. Das habe ich erst in den letzten Jahren entdeckt und verstanden. Früher war es nicht gewagt genug für mich. Aber jetzt, seitdem ich Lambert mache, finde ich es richtig schön! Wer mich aber schon immer sehr inspiriert hatte, war Glenn Gould mit den Goldberg Variationen oder Bill Evans und seine Explorations. Das sind sehr emotionale, tiefe Klaviertrioaufnahmen aus den 60er Jahren. Und es gibt vor allem einen Schweden, Jan Johansson, der Lambert sehr geprägt hatte. Er hatte damals schon in den 60er Jahren eine Platte herausgebracht, auf der er schwedische Folksongs spielte und das nur mit Klavier und Kontrabass. Dieser Sound und diese Klangästhetik hatte mich sehr beeinflusst. Es ist ein Stil, der zwar folkloristisch angehaucht ist, der mir aber auch neben dem Experimentellen sehr liegt.

VTph: Du hast einen sehr guten und kraftvollen Rhythmus, fast wird dieser manchmal zu Percussion – plötzlich reitest du schnell mit deinem Piano durch die Prärie…

Lambert: Ja, das kann schon sein, aber du darfst nicht vergessen, ich bin auch ein Kind der Popkultur. Da aber im Elternhaus leider nichts anderes galt als klassische Musik, hatte ich damals versucht, mich mit dem Schlagzeug vom Klavier zu befreien. Als ich nur noch Percussion machen wollte, kam es fast zum Eklat. Ich musste wieder Klavier spielen und durfte Schlagzeug nur zusätzlich spielen. Aber es war letzten Endes eine gute Entscheidung.

VTph: Und was passiert 2017 für dich? Nimmst du dann die vierte Platte auf oder sagst du, für diese nehme ich mir jetzt einige Jahre Zeit?

Lambert: Ich habe einfach Spaß am Spielen. Ich möchte mich mit Musik befassen und das nächste Album möchte ich danach auch mal in einer anderen Stadt aufnehmen. Vor allem reizt mich ein größeres Studio und vielleicht lasse ich die Stücke auch von einem Produzenten aufnehmen, der mich dazu bringt, meinen Kontrollwahn ein wenig zur Seite zu schieben. Es würde mich wirklich interessieren, was andere Künstler mit ihren eigenen Einflüssen dazu arrangieren. Vielleicht möchte ich auch Streicher integrieren oder ein Orchester darf dazukommen, um dann am Ende erst zu hören, wie so ein Stück wirkt. Es darf vor allem wachsen und größer werden und mehrere Elemente dürfen hinzu kommen – sogar Stimme. Im Moment arbeite ich an einem Projekt mit einem englischen Songwriter, Brookln Dekker von Rue Royale, und parallel arbeite ich auch noch mit einem elektronischen Künstler aus Hamburg zusammen. Es wird wohl alles über die nächsten Jahre verteilt herauskommen.

VTph: Gibt es ganz bestimmte Stücke für dich, die noch reifen dürfen und du greifst sie dann später noch einmal auf? Ich selbst arbeite an manchen Projekten 6 oder 10 Jahre und kehre dadurch an bestimmte Orte auch wieder zurück…

Lambert: Nein, das könnte ich nicht! Ich brauche eine Schnelligkeit beim Arbeiten und ich möchte die Stücke beenden. Ich mag diesen Prozess zwischen Idee und Ergebnis und es sollte zwischen beiden Polen nicht zu viel Zeit dazwischen liegen. Ich habe einfach das Gefühl, es ist dann besser für das Stück. Es sind ja dann auch immer kleine Erfolgserlebnisse, die ich genau messen kann. Am Ende habe ich eine Aufnahme – und erst danach dauert es oftmals ewig, bis diese veröffentlicht wird. Ich finde es wichtig, Dinge schnell abzuschließen, damit ich weitermachen kann!

Interview: Nadine Ethner / 07.10.2016


© Photography by Andreas Hornoff / Video by Tillmann Roth & Niklas Weise // Lambert: www.listentolambert.com